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Shuichi’s Schatzkästchen

~ FanFictions ~

„Guardians” Teil III

Copyright: Diese Geschichte ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigungen jeglicher Art sind untersagt.
© 2005 - Shuichi Shindou / Sabrina Winterberg - Schweiz / Suisse / Svizzera / Svizra / Switzerland.
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

Yu stand am nächsten Morgen schon früh auf, obwohl es Sonntag war. Yu zog sich an, hängte sich seinen Kimonomantel über den Arm und ging hinunter in die Küche. Er setzte sich zu Ri an den Küchentisch.
„Wo sind Shui und Xie?”, fragte Yu.
„Die schlafen noch”, sagte Ri.
„Nicht zu glauben. Stundenlang haben die sich im Garten gefetzt. So gegen drei Uhr Morgens haben sich die beiden dann gegenseitig ausgeknockt. Dann musste ich sie ins Bett bringen, sonst hätten sie sich draussen ne Erkältung geholt.”
Yu nickte nur. Er hatte ja keine Ahnung, was Ri gemeint hatte, als er sagte, erhabe die beiden ins Bett gebracht.
Shui lag tief schlafend in seinem Bett und neben ihm lag Xie. Xie hatte sich dicht an Shui gekuschelt und Shui hatte seinen Arm um Xie gelegt. Die beiden wachten gleichzeitig auf und sahen sich an.
„Morgen Schatzi”, sagte Shui lächelnd.
„Was zum Teufel machst du mit mir!”, rief Xie und schlug Shui die Faust ins Gesicht.
„Was ich mit dir mache?! Du bist doch zu mir ins Bett gekommen!”
„Von wegen, davon träumst du wohl. So was würde ich nie tun. Los red schon, hast du mich unter Drogen gesetzt oder was?”
„Die beiden sind wach”, sagte Ri unten in der Küche.
„Da wär ich nie drauf gekommen”, sagte Yu und sah an die Decke, von der schon der Putz bröckelte.
„Heute ist mal wieder Unterricht bei Orion angesagt”, sagte Ri
„Ja, stimmt”, sagte Yu.
Seit herausgekommen war, dass Ri und Shui seine Brüder sind, war Yu nicht mehr bei Orion gewesen. Nun freute er sich auf den Unterricht. Er wollte seinen Freund Taki wieder sehen. Mit ihm hatte sich Yu während der letzten Male angefreundet.
„Meinst du, du findest den Weg zu Orions Burg alleine?”, fragte Ri.
„Ja, ich denke schon”, sagte Yu.
„Gut, dann kannst du ja heute mal alleine gehen. Ich muss hier auf die beiden Chaoten aufpassen. Am Ende brennen die mir noch das Haus ab.”
Yu zog sich den schwarzen Kimonomantel über und folgte Ri in den Garten.
Ri stellte sich wieder vor die zwei Bäume, zwischen denen sich das Tor zur Welt der Guardians befand. Ri öffnete das Tor.
„Also dann, bis nachher”, rief Yu und trat durch das Tor.
Die Wiese hinter der Tür lag still im Licht der aufgehenden Sonne. Ein Windstoss streichelte Yus Haar. Er spannte seine Flügel. Die Sonne wärmte seine Flügel. Yu stiess sich vom Boden ab und mit einem Schlag seiner Flügel tauchte er in das herrlich frische Blau des Himmels ein. Der Wind griff unter seine Flügel und trug ihn sanft über die Landschaft hinweg. Yu hatte seit seinem ersten Flug, der mit einem Absturz geendet hatte, war er nicht mehr geflogen. Trotzdem klappte es erstaunlich gut.
Nach einigen Minuten kam Orions Burg in Sichtweite. Yu flog über die Burg hinweg. Der Burghof stand voller Bäume. Yu liess sich absinken. Erst jetzt kam ihm wieder in den Sinn, dass ihm niemand gezeigt hatte, wie man landete. Es war aber schon zu spät. Der Boden kam immer näher. Yu versuchte eine einigermassen anständige Landung hinzukriegen. Als seine Füsse aber den Boden berührten, stolperte Yu und viel zu Boden.
„Guten Morgen, Yu”, sagte ein Stimme hinter Yu. unter dem Torbogen stand Orion mit Taki.
„Guten Morgen”, sagte Yu grinsend.
„Wie ich sehe hast du in der Zwischenzeit fliegen gelernt.”
„Na ja, mit der Landung hapert es noch ein bisschen.”
Taki kam auf Yu zu und reichte ihm die Hand. Yu nahm Takis Hand und zog sich daran hoch.
„Lang nicht mehr gesehen”, sagte Taki.
„Ja, war viel los”, sagte Yu.
„Gut siehst du aus. Coole Flügel.”
„Na ja, ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist es schon.”
„Ich find nur die Farbe etwas Komisch. Ich meine, ein Flügel weiss der andere schwarz. Das ist doch nicht normal.”
Yu zog seine Flügel ein.
„Ich weiss auch nicht, wie das kommt. Ich hab eigentlich auch nicht gross drauf geachtet. Ich war so happy, dass ich auch endlich Flügel hatte.”
„Ist ja auch nicht wichtig. Ich sage doch, dass es stark aussieht. Ich muss dir noch unbedingt etwas erzählen. Du weisst ja, dass mein Vater Ratsvorsitzender ist. Wir leben im Kristallschloss, dort werden die Ratsversammlungen abgehalten. Manchmal kann ich die Sitzungen belauschen. Da erfährt man einiges aber das erzähle ich dir lieber später.”
Taki zwinkerte Yu kurz zu. In dem Moment kamen die anderen Schüler angeflogen. Die kleine Maki kam im Sturzflug auf Yu zu und fiel ihm um den Hals. Dabei riss sie ihn unwillkürlich von den Füssen. Seit Yu sie damals vor den Dämonen gerettet hatte, hatte Maki einen Narren an Yu gefressen. Im Unterricht sass sie sogar neben Yu. Sava wollte ihre kleine Schwester von Yu wegholen und meinet, sie solle ihn doch mal in Ruhe lassen. Aber Yu störte das eigentlich nicht.
Yu fragte sich während des ganzen Unterrichts, was Taki ihm wohl sagen wollte. Wusste er etwa, dass Ri und Shui Yus Brüder waren?

Der Unterricht ging relativ schnell vorüber. Yu verliess mit den anderen das Hauptgebäude. Er seilte sich von der Truppe ab und stieg, über eine Treppe, zu den Zinnen hinauf. Yu setzte sich auf die Brüstung und sah aufs Land hinunter. Dort hinter dem Horizont musste sie sein. Die Stadt. Yu hatte sie nur kurz gesehen als die Guardians ihn zum Rat gebracht hatten. Er hätte gern mehr davon gesehen. Bis jetzt hatte er nur Orions Burg gesehen. Dabei wollte er diese Welt doch so gerne besser kennen lernen. Es gab so vieles, was er noch nicht wusste. Als er Ri vor ein paar Tagen mal gebeten hatte, dort in die Stadt zu dürfen, lehnte dieser vehement ab. Yu versuchte, Ri dazu zu bewegen, dass er ihn begleitete aber Ri war hart geblieben. Ri hatte sich seit dem nicht mehr zu dem Thema geäussert. Yu wusste nicht warum aber Ri schien der Gedanke, dass Yu sich in dieser Stadt aufhielt, Unbehagen zu bereiten. Denn als Yu Ri seinen Wunsch geäussert hatte, war Ri auf einmal ganz blass geworden. Yu beschloss, Ri nicht weiter damit auf die Nerven zu gehen. Aber der Wunsch blieb trotz dem.
Yu erschrak und schrie kurz auf als sich plötzlich zwei Arme von hinten um seine Schultern legten.
„Keine Panik, ich bin's nur”, sagte Taki.
„Willst du eigentlich, dass ich einen Herzinfarkt kriege?”, rief Yu keuchend.
„Sei doch nicht so, war doch nur Spass. Was siehst du dir eigentlich an?”
„Da hinten muss es doch sein, oder?”
„Was?”
„Die Stadt.”
„Ja, dahinter dem Hügel. Das ist unser Hauptstadt.”
„Und da lebst du?”
„Ja, das heisst, ich lebe im Schloss. Weißt du, die Ratsmitglieder leben alle im Schloss. Mit ihren Familien.”
„Haben denn alle Ratsmitglieder Familie?”
„Nein, nicht alle. Zwei haben sogar Kinder aber mit denen gebe ich mich nicht ab. Die sind mir zu arrogant. Die denken, bloss weil ihre Väter im rat sind, seien sie etwas besseres. Die gehen auch nicht bei Orion zur Schule.”
„Dann lebt nur ihr im Schloss?”
„Nein, nein, da leben noch viele andere. Minister, Staatsangehörige aus aller Welt und natürlich die Jians die bei uns stationiert sind.”
„Es ist hier sicher schön. Ich würde eigentlich gerne mal in die Stadt.”
„Was hält dich denn davon ab?”
Taki schwang sich gekonnt in die Luft.
„Los, lass uns gehen”, sagte Taki.
„Gehen? Wohin?”, fragte Yu verwirrt.
„Na, in die Stadt.”
„Nein, ich kann nicht.”
„Warum denn nicht?”
„Mein Bruder will das nicht und ausserdem muss ich nachhause.”
„Wir hatten heute früher Schluss, wir haben also noch Zeit über.”
Yu fragte sich später noch oft, was ihn zu dieser Zeit geritten hatte. Er liess sich nur plötzlich von seinen Flügeln von der Brüstung tragen. Taki nahm Yu an der Hand und zog ihn hinter sich her. Yu machte gar nichts. Er leistete keinen Wiederstand zögerte aber auch nicht. Er liess sich einfach von Taki in Richtung Stadt führen.
Kaum hatten sie die Hügel hinter sich gebracht, kam die Stadt in Sicht. Yu vergass alle Sorge. Taki und er landeten in einer Seitenstrasse. Vorsichtig streckte Taki den Kopf aus der Seitenstrasse, um zu sehen, was auf der Hauptstrasse vor sich ging.
„Du hast Glück”, sagte Taki.
„Heute ist Markt. Da ist ne Menge los.”
Die Hauptstrasse war von lauter Ständen gesäumt. Hier gab's fast alles zu kaufen. Es gab alle möglichen Arten von Lebensmitteln. An einigen Ständen gab es Obst und Gemüse, an andern gab es Gewürze, Fleisch, Fisch und noch vieles mehr.
Am Obststand zog eine merkwürdige Frucht Yus Aufmerksamkeit auf sich. Sie sah aus, wie eine Erdbeere, war aber so gross wie ein Apfel und sie hatte ein ungewöhnlich blaue Färbung. Das war allerdings nicht das einzige seltsame Stück hier. Es gab auch noch eine Art Melone, die war lila. Yu fiel auf, dass alle Früchte seltsame Farben und Formen hatten.
„Schön, nicht?”, sagte die Junge Frau hinter dem Stand
„Ja”, sagte Yu etwas verlegen.
„Was sind das für Früchte?”
Yu kam sich bei der Frage eigentlich doof vor. Er dachte, dass er das eigentlich wissen müsste.
„Das sind keine gewöhnlichen Früchte. Die sind aus meinem Garten. Ich habe sie mit dem Schmelzwasser aus den Bergen gegossen. Das Wasser hat besondere Kräfte. Darum sind die Früchte auch so gewachsen. Möchtest du mal probieren?”
Die Frau nahm eine der blauen Erdbeeren, schnitt ein Stück heraus und reichte es Yu.
„Danke”, sagte Yu.
Yu zögerte kurz, biss dann aber doch, wenn auch vorsichtig, hinein.
Die Frucht schmeckte zuckersüss. Sie hatte einen herrlichen Erdbeergeschmack und Yu schmeckte sogar einen hauch Vanille.
„Und? Ist sie gut?”, fragte die Frau.
„Ja, sehr”, antwortete Yu.
„Hey Yu, komm, gehen wir weiter!”, rief Taki, einige Stände weiter.
„Entschuldigen Sie”, sagte Yu höflich.
„Aber ich muss gehen.”
Zusammen gingen die beiden Jungs weiter. Es gab noch vieles mehr auf dem Markt. Es gab Schmuck, Stoffe, Kleider, Süssigkeiten, Bücher, Spielzeug, Waffen und allerlei Krimskrams und Ramsch. Also alles, was es auf einem normalen Markt auch gab. Wenn es auch etwas anders war. Die Steine In den Schmuckstücken zum Beispiel, leuchteten und funkelten so komisch. Taki erklärte ihm, dass Guardians Element in Schmucksteine einschliessen konnten. Besonders beliebt waren Feuer, Wasser, Wind und Blitze.
„Weisst du, was wirklich schräg ist?”, fragte Taki.
„Nein, was denn?”, fragte Yu zurück.
„Als Shui sich hier langsam einen Namen gemacht hatte, liefen die Mädchen plötzlich alle mit Anhängern, Ringen und Armbändern mit Wassersteinen rum. Weißt du, bei uns sind das Glücksbringer. Am besten wirkt er aber, wenn man ihn von jemandem geschenkt bekommt, der ihn selbst gemacht hat. man sagt, wenn man einen Stein aus seinem Element bei sich trägt, dann stärkt er die eigenen Kräfte. Und wenn es das Element eines Anderen ist, dann ist diese Person im Geist immer dabei.”
„Hast du denn auch einen?”
„Ja, hab ich.”
Taki schob seinen ärmel zurück und zeigte Yu ein Armband mit gelborangen Steinen.
„Erde. Mein Element”, sagte Taki stolz.
„Meine Eltern haben es mir auf den Geburtstag geschenkt. Wie sieht's denn mit dir aus, Yu?”
„Oh, ich habe keinen dieser Glücksbringer.”
Taki sah Yu auf einmal komisch an.
„Und was ist damit?”, fragte Taki und zeigte auf Yus Talisman.
Yu sah auf die silberne Feder, die in der Sonne glitzerte.
„Das ist eine ganz gewöhnlich Halskette”, sagte Yu.
„Ich habe sie schon seit ich denken kann. Ich weiss nur nicht von wem ich sie habe.”
Yu kam wieder ins grübeln. Er fragte sich schon lange, wer ihm den Talisman gegeben hatte. Ob es jemand war, den er kannte?
Yu kam gerade wieder etwas in den Sinn.
„Sag mal Taki, was wolltest du mir denn eigentlich sagen?”, fragte Yu.
Taki drehte sich zu Yu um.
„Ich wollte dir was sagen?”, sagte Taki nachdenklich.
„Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich hab dir doc erzählt, dass ich im Schloss wohne und, dass dort immer die Ratsversammlungen stattfinden. Na ja, manchmal belausche ich den Rat. Vor ein paar Tagen bin ich von einem heftigen Getöse im Versammlungsraum wach geworden. Ich schlich mich nach unten. Und da hab ich etwas erstaunliches erfahren.”
„Was denn?”, fragte Yu zögernd.
„Eine Kriegerin aus dem Westgebiet ist hierher gekommen.”
„Eine Kriegerin?”
„Ja, sie hat hier einen wichtigen Auftrag. Ich habe sie im Versammlungsraum gesehen. Sie ist ganz schön tough. Sie hat hüftlanges, weisses Haar und wenn der Mond draufscheint, dann glitzert es so schön.”
Yu dachten nach. Eine Kriegerin aus dem Westgebiet mit hüftlangen weissen Haaren? War das etwa...?
„Weißt du zufällig ihren Namen?”, fragte Yu.
„Ja, natürlich”, sagte Taki.
„Ihr Name ist Hei Xie. Sie ist wirklich wunderschön. Eine wahre Amazone. Stark und mutig aber auch so schön und zerbrechlich, wie eine Rose.”
„Auch die schönste Rose hat Dornen.”
Yu rollte bei diesen Worten mit den Augen.
„Was hast du gesagt?”, fragte Taki.
„Du kennst Xie kein bisschen”, sagte Yu.
„Wie? Nein, du etwa?”
„Nein, nein. Wie kommst du denn auf die Idee?”
Yu fuchtelte mit den Armen in der Luft herum. Er fürchtete, dass er sich verraten hatte.
„Warum nennst du sie dann Xie?”, fragte Taki neugierig.
„Ach, nur so”, sagte Yu.
Yu versuchte das Thema zu wechseln aber Taki wollte nur über Xie reden. Er schwärmet regelrecht von ihr. Yu fragte sich, wie Taki wohl über sie denken würde, wenn er sie richtig kannte. Yu hörte gar nicht mehr so recht zu. Er nickte nur noch und sagte hin und wieder, hm und ja.
„Was machst du denn hier?!”, rief eine Stimme hinter Yu und packte ihn am Arm.
Erschrocken drehte sich Yu um. Hinter ihm stand ein fremder in einem langen, dunkelblauen Kapuzenumhang. Die Kapuze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Panisch versuchte Yu sich vom griff des Fremden zu befreien. Taki sprang auf den Fremden los.
„Lassen sie ihn los!”, schrie Taki und versuchte Yus Arm von der Hand des Fremden loszureissen.
„Beruhigt euch doch”, sagte der Fremde.
„Ich bin's doch.”
Er zog sich die Kapuze vom Kopf. der Fremde war Shui.
„Shui?”, sagte Taki verblüfft.
„Was treibt ihr zwei eigentlich hier. Ihr solltet hier nicht einfach so rumstromern. Ganz besonders du nicht Yu. Ri... äh, ich meine dein Bruder hat dir doch verboten in die Stadt zu gehen. Oder irre ich mich da?”
„Nein”, sagte Yu und liess den Kopf sinken.
„Ich wollte doch nur auch mal etwas von dieser Welt sehen. Aber könntest du meinen Arm mal loslassen. Ich hab kaum noch Gefühl in meinen Fingern.”
„Oh, Entschuldigung.”
Shui liess Yus Arm wieder los. Da kam auf einmal eine zweite Person auf sie zu. Sie trug ebenfalls einen Umhang in Weiss. Die Kapuze hatte sie allerdings zurückgeschlagen.
Yu er kannte das lange, weisse Haar. Es war Xie.
„Du hast sie also gefunden”, rief Xie.
„Was fällt euch beiden eigentlich ein, einfach so zu verschwinden?”
Taki klappte der Mund auf.
„Da... das ist... Hei Xie!”, rief er.”
„Kennen wir uns?”, fragte Xie.
„Nein aber ich kenn sie. Ich hab schon so viel von ihnen gehört. Sie sind einfach unglaublich und in Wahrheit sind sie ja noch viel schöner, als man sagt. Ich habe auch gehör, wie sie die Revolte in Frankreich aufgehalten haben. Ich bin ein grosser Fan von ihnen Hei Xie.”
Xie lachte und schien geschmeichelt.
„Nenn mich ruhig Xie”, sagte sie.
„Und wie heisst du?”
„Ich bin Taki.”
„So? dann bist du also de Sohn des Ratsvorsitzenden?”
„Ja genau, so ist es.”
„Armer Junge”, sagte Shui.
„Wenn er wüsste, wie Xie wirklich ist, dann würde er sie nicht so umschwärmen.”
„Was meinst du damit?”, fragte Taki.
„Mal im Ernst. Bei der Frau hast du keine Chancen. Die ist steinhart. Glaub mir, da verbrennst du dir nur die Finger.”
„Meinst du?”, sagte Xie und setzte einen kecken Blick auf.
Xie trat auf Taki zu. Legte eine Hand an seine Wange und küssten ihn. Shui war wie vom Blitz getroffen. Er traute seinen Augen nicht. Shui ballte die Hände zu Fäusten.
„Was soll das denn werden?!”, rief Shui.
Xie wurde auf einmal ganz still. Sie drehte sich um und ging, wie in Trance, auf Shui zu. Ihr Blick war plötzlich matt und leer, wie wenn sie in Gedanken ganz wo anders war. Xie zog Shuis Gesicht zu sich ran und Küsste ihn.
Shui war so überrascht, dass er Xie von sich wegstiess.
„Was ist los mit dir Xie?”, fragte Shui und schüttelte sie.
„Hast du Fieber oder so?”
Xie wachte wieder aus ihrem Dämmerzustand auf.
„Was mach ich hier eigentlich?”, rief Xie.
„Ich habe meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.”
„Vielleicht war's ja ein unterbewusster Wunsch.”
„Träum weiter.”
Xie Griff nach Yus Arm.
„Gehen wir nachhause”, rief Xie und zog Yu hinter sich her.
„Aua, Xie du reisst mir den Arm aus!”, rief Yu und versuchte sich zu befreien. Zwecklos.
„Wir sehen uns!”, rief Taki Yu noch hinterher.
Shui schaffte es gerade noch so, mit Yu und Xie Schrittzuhalten. Xies Finger gruben sich in Yus Handgelenk, dass er zuhause erst mal ein Handtuch mit Eis draufdrücken musste.
„Was war eigentlich los?”, fragte Yu als er sich im Sessel nieder liess.
„Das würde ich verdammt noch mal auch gern wissen!”, sagte Xie mit einem finsteren Blick auf Shui.
„Ich bin unschuldig”, verteidigte sich Shui.
Xie starrt Shui weiterhin finster an. Sie sah aus wie ein Raubtier, dass auf seine Beute lauerte. Die Luft knisterte schon fast vor Spannung. Zum Glück kam in diesem Moment Ri durch die Tür ins Wohnzimmer, denn Yu glaubte, dass die beiden im nächsten Moment auf einander losgesprungen wären.
„Was ist denn hier los?”, fragte Ri, der gerade sein Jaquette über den Sessel und auf Yus Kopf. Yu begann zu erklären:
„Xie hat Taki geküsst. Shui wurde eifersüchtig. Dann hat Xie, aus welchem Grund auch immer, Shui geküsst. Jetzt ist sie sauer.”
„Aha, alles klar.”, sagte Ri und setzte sich auf die Armlehne des Sessels.
„Was ist klar?!”, rief Xie.
„Erklär es mir bitte. Ich kapier nämlich gar nichts. Warum hab ich etwas getan, was ich eigentlich nie tun würde?!”
„Ganz einfach. Du hast Shui betrogen.”
„Ich hab doch nichts mit Shui, wie soll ich ihn da betrügen?!”
„Du hast mit Shui den Pakt geschlossen. Wenn eine Frau und ein Mann den Pakt schliessen, dann verhält sich das anders als wenn zwei Männer oder zwei Frauen den Pakt schliessen. Ihr seit halt eng miteinander verbunden. Mit anderen Worten: Wenn du jemand andern küsst, dann musst du Shui für den Kuss entschädigen. Das gilt auch umgekehrt.”
„Soll das heissen, dass ich jedes Mal, wenn ich jemanden küsse, den da auch küssen muss?”
Ri nickte nur.
„Das gilt für alle intimen Handlungen.”
Xie verzog das Gesicht. Der Gedanke an das, was ihr bevorstand liess sie erschaudern. Shui hingegen, grinste breit. Yu sah Shui schief an, der wohl im Moment keine sehr anständige Gedanken zu haben schien.
„Zu was anderem.”, sagte Ri.
„Warum hast du eigentlich Taki geküsst?”
„Er ist jung, sieht gut aus und er ist der Sohn des Ratsvorsitzenden. Das gibt einige Vorteile, wenn man mit dem Sohn des Chefs zusammen ist. Aber weil ich den Pakt mit diesem Trottel da geschlossen habe, geht das jetzt ja nicht mehr. Das hab ich nur dir zu verdanken.”
Xie packte Shuis Hals und würgte ihn. Mit Mühe und Not gelang es Ri und Yu Shui von Xie loszureissen.

Die Stimmung zwischen Shui und Xie war in den nächsten Tagen ziemlich angespannt. Obwohl das mehr von Xies Seite her kam. Shui hingegen verstand gar nichts mehr. Ri versuchte, so gut es ging die Wogen zwischen den beiden zu glätten. Yu hatte allerdings keine Zeit für solche Aktionen. Er hatte genug Arbeit mit der Schule. Im Moment standen ihm eine menge Prüfungen bevor. Weil er wegen seinen 'Familienangelegenheiten' so oft gefehlt hatte, musste er mehr Schulstoff aufarbeiten, als die anderen Schüler.
Yu vergrub sich jeden Tag in seinem Zimmer. Manchmal liess er sogar das Essen aus.
„Lernt Yu schon wieder?”, fragte Shui als Yu wieder mal das Abendessen hatte ausfallen lassen.
„Ja.”, antwortete Ri mit einem Seufzen.
„Er arbeitet schrecklich viel in letzter Zeit. Hoffentlich übernimmt er sich nicht.”
„Ich meinte eigentlich, dass er dauernd das Essen ausfallen lässt, das kann doch nicht gesund sein, oder? Sag doch auch mal was dazu Xie.”
„Hm?”
Xie sah von ihrer Reisschüssel auf. Sie war so ins Essen vertieft gewesen, dass sie vom Gespräch gar nichts mitbekommen hatte. Xie schluckte den Bissen runter und fragte zu Shui gewandt: „Wozu soll ich was sagen?”
„Na, dass Yu statt zu essen pausenlos lernt.”, sagte Shui leicht gereizt.
„Ist mir eigentlich egal. Soll er doch lernen, wenn's ihm Spass macht. Dann bleibt eben mehr für mich.”
„Du bist eine Egoistin!”
„Ich weiss. Du solltest Yus Beispiel folgen und auch mal über die Bücher gehen. Wie willst du denn sonst jemals Jian werden?”
„Ich weiss was ich wissen muss!”
„So wie du gewusst hast, was passiert, wenn ein Dämon einem Guardian Energie aussaugt?”
Shui schwieg und wandte sich wieder dem Essen zu.
Yu brütete in seinem Zimmer gerade über seinen Algebrahausaufgaben. Er kam einfach nicht weiter. Ihm war heiss obwohl es draussen so langsam Temperaturen um den Gefrierpunkt herum waren. Yu strich sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht. Durch die schwarzen Fransen starrten die blauen Augen wie hypnotisiert auf das weisse Blatt Papier. Seine Finger krampften sich um den Füller. Nervös warf er einen Blick in sein Heft, dann auf die Notizen, die er sich von Mako ausgeliehen hatte. Zwecklos, er konnte Makos Schrift einfach nicht entziffern. Yus Augen brannten, die Finger und Handgelenke taten ihm weh und der Kopf schmerzte allmählich. Es klopfte an die Zimmertür.
„Herein!”, rief Yu müde.
Ri öffnete die Tür und trat ins Zimmer. In der hand hielt er eine Tasse Tee, die er neben Yu auf dem Schreibtisch abstellte.
„Ich dachte du könntest mal eine kleine Erfrischung gebrauchen.”, sagte Ri lächelnd.
„Danke.”, murmelte Yu ohne aufzusehen.
„Immer noch am Algebra?”
„Ja, ich kapier das einfach nicht. Warum musste der olle Pauker das ausgerechnet dann erklären als ich gefehlt hab.”
Yu raufte sich das Haar. Sie hatten dieses Thema in der Schule behandelt als Yu nach dem Energieschwund drei Tage lang geschlafen hatte. Seinen Mitschülern hatte Yu erzählt, er habe die Grippe gehabt.
„Mach dich nicht verrückt.”, sagte Ri.
„Willst du denn eigentlich nicht mal was essen?”
„Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.”
„Wie du willst.”
Ri ging zum Fenster hinüber und öffnete es einen Spalt breit.
„Mit frischer Luft lernt es sich doch gleich besser.”, sagte er.
„Danke, Ri.”, sagte Yu und rieb sich die Augen.
„Schon gut. überanstreng dich nicht. Wenn du doch noch Hunger kriegen solltest, dann komm einfach runter.”
Mit diesen Worten verlies Ri das Zimmer wieder und liess Yu mit seiner Arbeit allein.
Als Ri nach ein paar Stunden wieder kam. Fand er Yu schlafend über den Schreibtisch gebeugt. Ri trat zu Yu heran. Das Blatt, das unter Yus Kopf lag war vollgeschrieben. Offenbar hatte er, bevor er eingeschlafen war, noch einen Geistesblitz gehabt.
Ri strich Yu die haare aus dem Gesicht. Er sah zufrieden aus. Ri hob Yu hoch legte ihn sanft ins Bett und deckte ihn zu. Ri küsste Yu leicht auf die Stirn. Dann löschte er das Licht und schloss die Tür hinter sich.

Als Yu am nächsten Morgen aufwachte war er noch müder als am Abend zuvor. Er döste noch ein bisschen im Dämmerschlaf vor sich hin. Plötzlich gellte ein lauter Schrei durch die Stille. Yu sass kerzengrade im Bett. Die Augen weit aufgerissen.
„ICH BRING DEN MISTKERL UM!!!”, gellte es durch den Flur.
Unverkennbar Xies Stimme.
Yu schlüpfte aus dem Bett, schlich zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und linste vorsichtig in den Flur. Eine vor Zorn kochende Xie wütete im Flur.
„Was ist den los?”, fragte Yu schläfrig.
„Wo ist er? Wo ist er?”, schrie Xie.
„Wo ist wer?”
„NA SHUI!!”
Yu verstand gar nichts. Was veranlasste Xie am frühen Morgen nur zu so einem Geschrei?
Sie war patsch nass. Das Wasser tropfte von ihren Haaren und Klamotten auf den Boden.
„Warst du schwimmen?”, fragte Yu schlaftrunken.
Inzwischen kamen Ri und Shui aus ihren Zimmern. Shui gähnte herzhaft. Er sah eher aus, als wenn er schlafwandeln würde.
Xie drehte sich um. Ihre Augen glühten als sie Shui erblickte. Sie sprang auf Shui los, wie ein wildes Tier das seine Beute anfiel. Xie riss Shui von den Füssen und schlug seinen Kopf gegen die Wand.
„Aua, womit hab ich das verdient?”, fragte Shui und rieb sich den Kopf.
„Dafür!”, rief Xie und deutete auf ihr Zimmer.
Yu und Ri sahen in ihr Zimmer. Der Raum stand unter Wasser. Die Möbel waren alle tropfnass.
Ri trat ein paar Schritte in den Raum. Er sah sich um und drehte sich dann wieder zu den anderen um.
„Rohrbruch.”, sagte Ri.
„Und was soll denn Shui damit zutunt haben?”, fragte Yu.
„Wer beherrscht hier denn die Magie des Wassers?”, rief Xie mit einem scharfen Blick auf Shui.”
„Ich hab gar nichts gemacht.”, sagte Shui.
„Ja, natürlich. Das Rohr ist also ganz von allein geplatzt.”
„Ich hab wirklich nichts damit zutun. Ich hab bis eben geschlafen.”
Yu und Ri drehten den beiden den Rücken zu und gingen.
„Wo wollt ihr hin?”, fragte Shui.
„Wir gehen wieder schlafen.”, sagte Ri.
„Und was ist jetzt mit meinem Zimmer?”, fragte Xie.
„Ich weiss zwar nicht wer oder was den Rohrbruch ausgelöst hat aber in nächster Zeit wirst du nicht mehr darin wohnen können.”
„Und wo soll ich so lange schlafen?”
„Wie wär's, wenn du in Shuis Zimmer ziehen würdest?”
„Ist das dein Ernst?!”
„Jep.”
„Nur über meine Leiche.”
„Ich hätte nichts dagegen.”, sagte Shui.
„Dich fragt keiner.”, blaffte Xie.
„Bevor ich mit dem in einem Zimmer schlafe, schlafe ich lieber draussen.”
„Mach doch was du willst.”, sagte Ri und ging zurück in sein Zimmer.
Yu ging auch wieder zurück ins Bett. Er konnte allerdings gar nicht mehr einschlafen. Er lag wach bis es zeit war zur Schule zu gehen. Yu schleppte sich aus dem Bett und in die Küche hinunter. Ein Brötchen war das einzige, was Yu an dem Morgen ass. Er lief schnurstracks an Ri vorbei, der gerade die Treppe herunter kam. Er war so in den Gedanken an die heutigen Prüfungen vertieft, dass er sich noch nicht einmal von Ri verabschiedete.
„Schlafwandelt der?”, fragte Shui, der auch gerade die Treppe herunter kam.
„Er ist halt ein bisschen im Stress.”, sagte Ri.
„Hoffentlich ist das bald vorbei. Wenn das noch lange dauert, bricht er uns noch zusammen.”
„Das heute sind die Letzten. Dann hat er endlich Zeit sich etwas auszuruhen.”
„Ich könnte den ganzen Stress nicht aushalten. Ich würde schreiend aus dem Unterricht laufen und mich selbst in ne Klapse einweisen lassen.”
„Ja, das würde ich dir zutrauen. Aber zum Glück hat Yu stärkere Nerven als du.”
„Weißt du Ri, ich find es toll, dass du dich so um Yu kümmerst. Aber ich finde du solltest auch vorsichtig sein. Versuch nicht Yu den Vater zu ersetzen.”
„Wieso?”
„Er soll sich doch nicht auf dich fixieren. Du wirst ihm ja nicht immer helfen können. Er muss doch auch lernen, auf sich selber aufzupassen. Ausserdem will ich nicht, dass du am Ende noch unter deiner ganzen Fürsorge zusammenbrichst.”
„Shui! Solche Worte bin ich mir von dir ja gar nicht gewohnt!”
„Tja, ich kann halt auch ernst sein. Das hättest du wohl nicht gedacht. Zudem finde ich es nicht nett, wenn Yu die ganze Aufmerksamkeit von dir bekommt. Da fühlt man sich ja richtig vernachlässigt.”
„Ach, komm her du.”
Ri nahm Shui in den Schwitzkasten und verwuschelt ihm die Haare. In dem Moment tauchte Xie hinter den beiden auf.
„Seid ihr fertig mit dem Gesülze?”, sagte Xie
„Hast du uns belauscht?!”, fragte Shui.
„Ja, hab ich. So viel Sentimentalität hab ich ja noch nie gehört. was gibt's zum Frühstück?”
Ri und Shui sahen sich gegenseitig an.
„Versuch gar nicht erst das zu verstehen”, sagte Ri.

Als Yu am späteren Nachmittag von der Schule nachhause kam, war er total geschafft. Er liess seine Tasche zu Boden fallen und warf seine Schuhe und Jacke an die Garderobe. Müde schlurfte er ins Wohnzimmer und liess sich der Länge nach aufs Sofa fallen.
„Alles in Ordnung?”, fragte Ri der im Sessel Yu gegenüber sass und sah über den Rand der Zeitung.
„Ich bin am Ende.”, stöhnte Yu.
„Ich hatte gerade die letzte Prüfung.”
„Und wie ist's gelaufen?”
„Ich weiss nicht. Ich hatte die ganze Zeit ein Brett vorm Kopf.”
„Na, so schlimm wird's doch wohl nicht gewesen sein. Am Montag wissen wir ja wie du abgeschnitten hast.”
„Hmh.”
„Hat jemand von euch Xie gesehen?”, fragte Shui der gerade in den Raum gestürmt war.
„Ne, wieso?”, sagte Ri.
„Mich musst du gar nicht erst fragen, ich bin gerade erst gekommen.”, sagte Yu müde.
„Ich wollte ihre Sachen in mein Zimmer bringen, weil sie sich doch das Zimmer mit mir teilen soll. Ich dachte nur es wäre nett, wenn sie mir helfen würde.”
„Hast du schon mal draussen nachgesehen?”, fragte Ri.
„Stimmt, da hab ich noch nicht nachgesehen.”, sagte Shui, stürmte zur Verandatür, riss sie auf und rannte hinaus.
„Was ist denn mit dem los?”, fragte Yu.
„Keine Ahnung.”, sagte Ri gleichgültig.
„Der ist schon den ganzen Tag so. Die Tatsache, dass Xie bei ihm einziehen soll macht ihn wohl etwas wuschig.”
Yu liess seinen Kopf ächzen aufs Sofakissen fallen.
„Was ist?”, fragte Ri.
„Ich sterbe vor Hunger!”, sagte Yu laut. Nun rächte sich die Tatsache, dass er in den letzten Tagen mehrmals das Essen hatte ausfallen lassen. Ri lächelte.
„Ich mach dir gleich was.”, sagte Ri.
„Wie wär's mit einer Suppe?”
„Au ja, das klingt gut.”
Shui lief in der Zwischenzeit im ganzen Garten herum und rief nach Xie. Er erhielt allerdings keine Antwort. Shui kam eine Idee, wie er Xie ausfindig machen konnte.
Er beugte sich zum Boden herunter und nahm eine Hand voll Sand auf. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Energie seiner Umwelt. Langsam streute er den Sand aus seiner Hand in den Wind. Leise rieselte der Sand zu Boden. Die Sandkörner lösten kleine Wirbel im Energiestrom der Umgebung aus. Die Wellen breiteten sich aus, wie Wellen im Wasser, wenn man Kieselsteine hineinwarf. Die Ringe Wurden langsam grösser und entfernten sich von ihrem Ursprung. Die Wellen wurden von einem Körper hinter Shui reflektiert. Es war ein menschlicher Körper. Shui drehte sich um und sah auf einen grossen Baum.
„Xie!”, rief Shui in das Blätterdickicht.
„Xie komm da raus!”
Ein dunkles Etwas sprang aus der Baumkrone. Shui sah das lange weisse Haar, welches in der Sonne glänzte.
„Was willst du?”, fragte Xie gehässig.
„Ich bin gerade dabei gewesen deinen Kram von deinem Zimmer in meins rüberzuräumen als mir einfiel, dass das ja eigentlich deine Aufgabe wär.”, sagte Shui leicht angesäuert.
„Wozu?”
„Wozu? Das ist doch dein Kram oder irre ich mich da?”
„Du hast doch eh alles schon rübergeräumt. Was soll ich da denn noch helfen?”
„Das Bett fehlt noch. Du könntest dich wirklich mal bequemen mir ein bisschen zur Hand zu gehen.”
„Lass stecken. Das Bett ist unnötig.”
„Wie?!?” Shui wurde rot.
„Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken! Ich meinte, dass ich nicht mit dir in einem Zimmer schlafen werde!”
„Wo willst du denn dann schlafen? Yus und Ris Zimmer sind doch beide zu klein für zwei und das Sofa ist doch wohl mehr als unbequem.”
„Draussen.”
„Draussen?”
„Gibt's hier ein Echo? Ich sagte ich penn lieber draussen als mir mit dir ein Zimmer teilen zu müssen.”
Xie wandte sich zum gehen um. Shui packte Xies Arm und hielt sie zurück.
„Ist das dein Ernst?”, fragte Shui.
„Welchen Teil von, ich schlaf mit dir nicht in einem Zimmer, hast du nicht verstanden?.”, sagte Xie patzig.
„Du kannst doch nicht draussen schlafen Xie.”
„Warum nicht?”
„Nachts wird's verdammt kalt draussen, vor allem jetzt im Winter. Da holst du dir doch ne Lungenentzündung wenn's hochkommt. Ausserdem ist es gefährlich. Hier draussen bist du ein leichtes Angriffsziel.”
Xie sah Shui mit einem merkwürdigen Blick an.
„Was ist los?”, fragte Shui verwirrt.
„Wo ist der echte Shui und was hast du mit ihm gemacht?”
„Was soll das?”
„Hast du dir ein neues Gehirn gekauft oder was ist los mit dir? Solch intelligente Sprüche kenne ich von dir gar nicht.”
„Was soll das heissen. Ich mach mir doch nur Sorgen.”
„Wie rührend. Du kannst ja richtig nett sein.”
„Dann schläfst du also doch im Haus?”
„Träum weiter.”
Xie machte ihre Drohung wahr. Nach dem Abendessen, stand Xie ohne ein Wort zu sagen vom Tisch auf und lief durch die Verandatür in den Garten. Yu und Ri sahen sich verwundert an aber Yu war zu müde um Fragen zu stellen und Ri schien es nicht zu interessieren.
Xie schwang sich auf den nächsten Baum und setzte sich auf einen breiten, soliden Ast. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm. Ein kalter Wind liess die Blätter rascheln. Xie zitterte ihr war kalt. Sie sah zum Haus. In Shui Zimmer brannte Licht. Xie hätte schon gern im Haus geschlafen aber ihr Stolz gebot es ihr nicht, dass sie sich Shui gegenüber eine Blösse gab. Sie kauerte sich zusammen und versuchte zu schlafen. Nach einiger Zeit entschwand Xie in einen angenehmen Traum.

Die Aufgehende Sonne warf ihre Strahlen auf Xies Gesicht. Langsam öffnete Xie die Augen. sie blinzelte und schreckte dann auf einmal hoch. Sie lag im Bett. In Shuis Bett. Shui lag neben dem Bett auf dem Teppich am Boden. Wie ein Hund der am Bett seines Herrn Wache hielt. Xie lächelte still. Sie zog den Arm zurück und schlug Shui die Faust gegen den Kopf.
„Aua, was soll das?”, murmelt Shui schlaftrunken und rieb sich den Kopf.
„Guten Morgen Shui.”, sagte Xie.
„Weckst die Leute immer so?”
„Kannst du mir erklären, was ich hier mache?”
„Ich habe dich reingeholt, nachdem du eingeschlafen bist. Ich wollte nicht, dass du dich erkältest.”
„Danke, wär aber nicht nötig gewesen. Ich weiss genau, was ich tue. Du brauchst mich nicht beschützen zu wollen.”
„Mach doch was du willst.”, sagte Shui und lief aus dem Zimmer.
„Ach übrigens.”, sagte Shui und streckte seinen Kopf noch mal ins Zimmer.
„Wenn du willst kannst du in meinem Zimmer schlafen, ich werde dann auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen.”
Shui verliess das Zimmer ohne ein weiteres Wort.
Ein halbe Stunde später sassen alle am Küchentisch. Die Stimmung war recht gedrückt. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Yu war immer noch müde, obwohl er nach Tagen endlich mal wieder durchschlafen konnte. In Gedanken war er bei seinen Prüfungen. Er hoffte, dass er eine einigermassen gute Note bekam. Ri vergrub sich hinter der Zeitung. Das Geschehen schien ihn reichlich wenig zu interessieren. Shui schwieg und sah nicht einen von ihnen an. Er dachte nur darüber nach, was Xie an ihm wohl so missfiel. Xie schwieg ebenfalls, sah aber immer wieder zu Shui hinüber. Sie hatte keine Ahnung warum ihr Blick immer wieder zu ihm herüber wanderte. Yu entging dies natürlich nicht, ging aber nicht näher darauf ein.
Auf einmal durchbrach das Klingeln des Telefons die Stille. Ri stand auf und ging in den Flur, wo das Telefon stand. Wieder sagte keiner ein Wort. Nach ein paar Minuten kam Ri wieder zurück.
„Telefon für dich Xie.”, sagte Ri und setzte sich wieder hin. Xie stand wortlos auf und verliess die Küche.
„Wer war den dran?”, fragte Shui.
„Keine Ahnung”, sagte Ri.
„Ich hab nicht nach dem Namen gefragt. War aber auf jeden Fall ein Europäer.”
„Ein Europäer?”, fragte Yu.
„Ja, hatte so einen französischen Akzent.”
„Komisch.”, murmelte Shui.
„Was ist komisch?”, fragte Yu.
„Dass dieser Typ hier anruft. Eigentlich sollte doch keiner wissen, dass Xie hier ist.”
„Vielleicht ist er ja ein Freund von Xie.”, sagte Ri.
„Ich dachte Xie hätte gar keine Freunde.”, sagte Yu nachdenklich.
„Bei der würde mich das nicht wundern.”, sagte Shui.
„Woher wollt ihr wissen, dass Xie in Europa keine Freunde hat?”, sagte Ri.
In diesem Moment kam Xie wieder in die Küche. Sie sah zufrieden aus und setzte sich an den Tisch
„Wer war das am Telefon?”, fragte Yu neugierig.
Shui spitzte neugierig die Ohren.
„Das war mein Verlobter.”, sagte Xie.
„Dein Verlobter?!?”, riefen alle drei wie aus einem Mund.
„Ja.”, sagte Xie, als wäre dies das Normalste auf der Welt.
„Du... bist ver... verlobt?”, stotterte Shui.
„Ja, hab ich das etwa nicht erwähnt?”
Yu packte Xies Hände.
„Wo ist denn dein Verlobungsring?”, fragte Yu.
„Oder hast du etwa keinen bekommen?”
„Gut, dass du mich daran erinnerst.”, sagte Xie und fummelte am Kragen ihres T-Shirts herum. Sie zog eine silberne Kette hervor an der ein schwarzer Ring hing. Xie löste den Ring von der Kette und steckte ihn sich an den Finger.
„Ach, übrigens.”, sagte Xie beiläufig.
„Mein Verlobter wird uns heute Abend besuchen.”
„Was?!”, rief Shui entsetzt.
„Heute Abend schon?”, sagte Ri kritisch.
„Das geht doch in Ordnung oder Ri?”, fragte Xie und sah Ri dabei mit einem bittenden Blick an.
„Natürlich.”, sagte Ri und legte die Zeitung weg.
„Was?!”, rief Shui erneut.
„Ich würde mich freuen, deinen Verlobten kennen zu lernen.”, sagte Ri.
„Danke.”, sagte Xie und lief gleich aus der Küche.
„Das hätte ich nicht gedacht.”, sagte Yu.
„Was denn?”, fragte Ri.
„Dass Xie gleich verlobt ist.”
„Was?”, sagte Shui, der mittlerweile irgendwie abwesend war.

Xie war die nächsten drei Stunden in Shuis Zimmer.
„Was macht die denn so lange da oben?”, fragte Yu der mit Ri und Shui im Wohnzimmer sass.
„Ist so gar nicht ihre Art sich Stundenlang im Zimmer zu verkriechen.”
„Na, was soll ich denn sagen.”, sagte Shui genervt.
„Die blockiert schliesslich mein Zimmer.”
„Ich werde mal nach ihr sehen.”, sagte Ri und verschwand.
Nur ein paar Sekunden später kam er wieder die Treppe herunter mit einem total verwirrten Blick. Er sah aus als hätte er gerade einen Geist gesehen.
„Holla.”, rief Shui.
„Was hat Ri denn so aus der Fassung gebracht?”
„Da.”, sagte Ri matt und zeigte in Richtung Treppe. Yu und Shui richteten ihren Blick in die Richtung, in die Ri zeigte. Am Fuss der Treppe stand eine schlanke, schwarzhaarige Frau. Als sie genauer hinsahen, erkannten sie Xie. Ihnen klappten die Münde auf. Xies Haare waren auf einmal tiefschwarz und zu einer schicken Hochsteckfrisur zusammengebunden. Anstelle ihrer labbrigen Jeans und Shirt trug sie ein schwarzes, tief ausgeschnittenes und rückenfreies Abendkleid, das sich an ihre weiblichen Rundungen schmiegte, als wenn es ihr auf den Leib geschneidert worden wäre. Sie war sogar geschminkt und trug Schmuck. Das grösste waren aber die hochhackigen Schuhe. Natürlich alles schwarz. Von Kopf bis Fuss.
„Wow.”, sagte Yu.
„Ich wusste gar nicht, dass du so ein Kleid hast, Xie.”
„Ich wusste gar nicht, dass sie so eine Figur hat.”, sagte Shui.
„Hast du keine Augen im Kopf?”, entgegnete Xie bissig.
„Wie denn, wenn du immer so weite Klamotten trägst?”
„Gewöhn dich gar nicht erst daran.”
„Schade eigentlich.”
„Was hast du eigentlich mit deinen Haaren gemacht?”, fragte Yu.
„Ein Spezialmittel, hält nur ein paar Stunden aber das muss reichen.”
Xie setzte auf einmal einen ganz merkwürdigen, fast lieben Blick auf.
„Shui, darf ich?”, fragte Xie mit süss säuselnder Stimme
„äh, natürlich darfst du.”, antwortete Shui unsicher.
„Danke”
Xie lächelte Triumphierend und ging in den Flur. Ri kicherte im Hintergrund.
„Was ist?”, fragte Shui.
„Weißt du eigentlich, was du gerade getan hast?”
„ähm, nein.”
„Du hast ihr gerade erlaubt mit ihrem Verlobten zu tun, was sie will.”
„Was?”
Es klingelte an der Tür. Die drei gingen zusammen in den Flur. Xie stand schon an der Tür, richtete noch schnell ihre Frisur und öffnete dann die Tür.
Draussen stand ein grosser, breitschultriger Mann mit hellblonden Haaren.
„Pierre.”, rief Xie entzückt.
„Wie schön dich wieder zu sehen!”
„Oh, ma Cherie, isch habe disch so vermisst.”
Pierre umarmte Xie. Xie zog sein Gesicht zu sich und küsste ihn. Shui verkrampfte sich unmerklich. Ri bemerkte dies allerdings doch.
„Wenn du unbedingt willst, kannst du den Kuss von Xie zurückvordern. Dann muss sie dich küssen.”, flüsterte Ri Shui ins Ohr.
Xie führte ihren Verlobten zu den dreien hinüber. Sie hatte sich an seinem Arm eingehängt und kicherte. Fast wie ein junges Mädchen.
„Darf ich vorstellen. Jungs, das ist Pierre. Pierre, das sind die drei von denen ich dir erzählt hab. Das hier ist Ri.”
Xie zeigte mit der Hand auf Ri. Ri verbeugte sich höflich.
„Das ist Shui.”
Xie zeigte auf Shui. Auch Shui verbeugte sich, behielt Pierre aber im Auge.
„Und der Kleine hier ist Yu.”
„Du bist also der kleine Junge von dem mir Xie erzählt hat.”, sagte Pierre.
Er legte seine Hand auf Yus Kopf und verwuschelte ihm, nicht gerade sanft, die Haare. Yu mochte das gar nicht. Er hatte nichts dagegen, wenn seine Brüder oder Xie das taten aber dieser Typ löste bei ihm Unbehagen aus.
„Cherie, du lebst mit drei Männern zusammen? Isch weiss nicht, was isch davon halten soll.”, sagte Pierre mit einem Unterton der den dreien gar nicht gefiel.
„Sieh es mir bitte nach mein Schatz.”, sagte Xie lächelnd.
„Zwei von denen sind noch Kinder und Ri ist ja nun wirklich nicht meine Kragenweite.”
„Ach, ja. Isch wollte ihnen noch mein Beileid ausdrücken.”, sagte Pierre.
„Ihr Beileid?”, sagte Ri etwas unsicher.
„Ja, es muss für sie alle ein grosser Schock gewesen sein, ihr Tot. Wo ihnen ihre Tante doch so viel bedeutet hat.”
„Was denn f...”, wollte Yu sagen bevor Ri ihm die Hand auf den Mund presste und ihn mitten im Satz abwürgte.
„Ja, ja es war wirklich ein Schock.”, sagte Ri schnell und warf Shui, der schon den Mund öffnen wollte, einen eindringlichen Blick zu.
„Aber doch wohl nicht ganz unerwartet. Wo sie doch so lange krank gewesen war.”
„Ja, es ging auch ganz schnell.”
„Isch wäre ja mit Xie mitgegangen aber isch hatte noch so viel Arbeit dass isch unmöglich einfach so gehen konnte. Aber isch wusste, dass meine Kirschblüte bei ihren Cousins gut aufgehoben ist. So wollte ihre Familie in dieser schweren Zeit doch unterstützen.”
„Ja, Xie war wirklich eine grosse Hilfe.”
Yu fragte sich, warum Xie ihrem Verlobten wohl so ein Märchen auftischte. Von wegen, dass sie ihre Cousine sei und , dass sie wegen dem Tot der Tante hierher gekommen war.
„Aber wollen wir nicht von etwas erfreulicherem Reden.”, sagte Ri um das Thema zu wechseln.
„Warum setzen wir uns nicht ins Wohnzimmer. Ich denke das ist angenehmer, als wenn wir hier die ganze Zeit im Flur rumstehen.”
„Oui, isch denke, dass das besser wäre.”
Die Fünf gingen ins Wohnzimmer. Pierre setzte sich in einen der Sessel und Xie nahm auf der Armlehne des Sessels Platz. Shui setzte sich in einen Sessel den beiden gegenüber um sie besser im Auge behalten zu können. Yu hatte sich aufs Sofa gesetzt. Ri kam aus der Küche mit einem Tee und Kuchen zurück. Als er sich ebenfalls aufs Sofa gesetzt hatte, rückte Yu ein Stücken näher an Ri heran.
„Also, Pierre, was arbeiten Sie eigentlich?”, fragte Ri.
„Isch bin Modedesigner.”, antwortete Pierre.
„Und wie sieht es bei Ihnen so aus? Wo hat es Sie denn hin verschlagen?”
„Ich bin Arzt.”
„Ah, Sie haben also studiert. Was ist denn ihr Spezialgebiet?”
„Kindermedizin.”
„Sie sind also Kinderarzt.”
Pierre sagte dies in einem abschätzigen Ton, von dem sich Ri ziemlich brüskiert fühlte.
„Passt ihnen denn daran etwas nicht?”
„Nun, isch dachte, dass ein Mann wie sie etwas gewichtiges, wichtiges machen würde und nischt so etwas popliges.”
„Sie halten das also für unwichtig. Natürlich, warum auch nicht? Ist doch egal, was aus den Kindern wird.”
„So habe isch das nischt gemeint. Natürlich muss den Kindern auch geholfen werden aber ich persönlich finde Herz- oder Gehirnchirurgie viel interessanter.”
„Für mich hat es eben persönliche Gründe, dass ich dieses Gebiet gewählt habe.”
„Ach, ehrlich?”, sagte Shui verwundert.
„Was sind das denn für Gründe?”
„Ich will jetzt niemanden damit langweilen.”, sagte Ri.
„Nischt doch, nischt doch, isch würde gerne wissen, was sie zu dieser Entscheidung bewogen hat.”
„Also gut, das ganze spielte sich vor etwa elf Jahren ab. Ich ging damals alleine durch den Park. Wie ich so durch den Park spazierte viel mir ein kleiner Junge auf. Er war ebenfalls alleine und spielte mit einem Fussball. Ich sah ihm eine Weile lang zu. Plötzlich brach der Junge zusammen und rührte sich nicht mehr. Ich rannte zu ihm hin. Der Junge konnte kaum noch atmen. Ich habe den Notarzt verständigt. Ich versuchte den Jungen bei Bewusstsein zu halten. Der junge klammerte sich mit der Hand an meinem ärmel fest und bat mich, ihn nicht alleine zu lassen. Der Notarzt, der den Jungen versorgt hatte, erklärte mir, dass er unter Anämie litt, unter Blutarmut um genau zu sein. Der Junge tat mir leid. An diesem Tag beschloss ich Kinderarzt zu werden. Ausserdem kann ich so gut auf meinen Bruder aufpassen.”
Bei den letzten Worten hatte Ri seinen Arm um Yus Schultern gelegt und ihn zu sich heran gezogen.
„Das hab ich ja gar nicht gewusst.”, sagte Shui erstaunt.
„Und welscher Tätigkeit gehen Sie denn nach, Shui?”, sagte Pierre, von Ris Erzählung sichtlich unbeeindruckt.
„Ich bin bei der Polizei.”, sagte Shui, mit einer Spur Verachtung in der Stimme.
„Sind Ihre Gründe für diesen Entschluss auch so tiefgründig?”
„Nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur die Typen zur Strecke bringen, zu denen ich mich früher auch zählte.”
„Ach, wo wir gerade dabei sind. Xie isch soll disch von den anderen Models grüssen. Sie vermissen disch und fragen, wann du wieder zurückkommst.”
„Model?”, fragte Yu verwundert.
„War Xie etwa ein Model?
„Ja und was für eins. Isch hab schon mit vielen Models gearbeitet aber Xie ist die beste, alle die nach ihr kamen waren nicht zu vergleischen.”
„Ich denke, ich werde mich mal ums Abendessen kümmern.”, sagte Ri.
„Xie hilfst du mir bitte?”
„ähm, ja ich komme gleich.”
Xie folgte Ri in die Küche. Auch Shui verabschiedete sich kurz mit den Worten, er müsse noch kurz etwas erledigen. Yu war nun mit Pierre ganz allein.
„So, mein Junge.”, sagte Pierre auf einmal.
„Du gehst noch zur Schule, hab isch rescht?”
„J-ja.”, sagte Yu.
Pierre erhob sich aus dem Sessel und liess sich neben Yu auf dem Sofa nieder. Yu rückte ein Stück von ihm weg.
„Es muss sehr schwer für disch gewesen sein als du deine Tante verloren hast oder?”
„J-ja, s-so ist es.”, stotterte Yu.
„Hat sie dir viel bedeutet?”
„Na- na ja, sch- schon.”
Pierre sah Yu mit einem eigenartigen Blick an. Seine Augen wanderten über Yus ganzen Körper.
„Was- was ist?”, fragte Yu.
„Du hast einen schönen Körper.”, sagte Pierre plötzlich.
„D- danke.” Yu wurde die ganze Situation immer unangenehmer.
„Hast du schon mal daran gedacht Model zu werden?”
„Wie? Ich und Model? Ei- eigentlich nicht.”
„Du wärst sicher ein grossartiges Model. Paris würde dir sicherlich gefallen.”
„Nein... nein danke. I- ich bin nicht interessiert.”
Pierre rückte immer näher zu Yu heran. Yu versuchte von ihm wegzukommen, was sich als schwierig erwies, denn Pierre war sehr aufdringlich. Yu fühlte sich unheimlich bedrängt.
„Yu, das ist ein sehr eigenartiger Name.”, sagte Pierre.
„D- das ist chinesisch.”, sagte Yu.
„Hat es auch eine Bedeutung?”
„E- es heisst F- Feder.”
„Feder? Ja, das passt.”
Pierre strich über Yus Gesicht. Yu zitterte. Er warf einen panischen Blick auf die Küchentür. Er flehte, dass die Tür sich öffnete und Ri herein kam und ihn rettete. Aber die Tür öffnete sich nicht und Ri kam auch nicht. Yu wollte schreien aber seine Kehle war wie zugeschnürt.
Als er schon glaubte, dass er sich fügen müsse, öffnete sich die Tür zum Flur. Im Türrahmen stand Shui. Er sah Pierre finster an. Yu nützte den Moment der überraschung und flüchtete sich auf die andere Seite des Raumes um möglichst viel Distanz zu Pierre zu gewinnen.
In dem Moment kam Ri durch die Küchentür.
„Das Essen ist gleich fertig.”, sagte er.
Yu war froh, dass er heil aus dieser Situation raus gekommen war. Als er später mit allen am Tisch sass, hatte er darauf geachtet, dass er möglichst weit von Pierre weg sass. Der Typ war ihm, aus welchem Grund auch immer, unheimlich. Ri entging das nicht. Er sorgte dafür, dass er immer zwischen Yu und Pierre stand. Obwohl jetzt schien sich Pierre auf einmal nur noch für Xie zu interessieren. Yu fragte sich, ob er Xie sagen sollte, was vorhin geschehen war.
Xies Kichern holte ihn wieder aus seinen Gedanken zurück. Es war ein so ungewohntes Geräusch. Sie schäkerte mit Pierre. Er hatte begonnen Witze zu erzählen. Xie lachte jedes Mal. Ri grinste, man sah ihm aber an, dass er es nicht witzig fand. Shui jedoch, warf Pierre böse Blicke zu.
Als keiner hinsah, warf Pierre Yu noch mal einen Blick zu. Sein Blick schien zu sagen, ich kann warten. Yu wurde übel bei dem Gedanken, was diesem Typen bei seinem Anblick im Kopf rumspuckte.
Yu stand mit einem mal auf.
„Kann ich bitte gehen?”, fragte Yu mit schwerer Stimme.
„Stimmt was nicht Yu?”, fragte Ri.
„Du bist so blass.”
„Mir ist nur ein bisschen übel.”
„Geh nur.”, sagte Ri verständnisvoll.
„Vielleicht hast du ja später Lust auf Nachtisch.”
Die erwachsenen verblieben am Tisch und redeten weiter.
„Also isch muss sagen, als isch Xie zum ersten mal sah, war isch hin und weg.”, sagte Pierre.
„isch hatte noch nie eine Frau gesehen, die schöner war als sie. Isch daschte nur: Die muss isch haben, koste es was es wolle.”
„Ja, ja, Xie kann den Männern ganz schön den Kopf verdrehen.”, sagte Ri.
„Non, das meinte isch nischt. Xie war ja am Anfang so schüchtern.”
„Xie und schüchtern?”
„Ja und wie, rischtig süss war sie. Heute ist sie, dank meiner Hilfe, eine rischtige Frau mit Klasse.”
„War sie das denn vorher nicht?”
„Non, bei weitem nischt. Sie war ja so ein Tollpatsch. Nischt wahr meine Kirschblüte?”
„Ja, Pierre. Ganz wie du meinst.”, sagte Xie mit einer zuckersüssen Stimme, die regelrecht zum fürchten klang.
Pierre zog Xie zu sich heran, dass sie auf seinem Schoss zu sitzen kam und küsste sie leidenschaftlich.
Ri warf einen Seitenblick auf Shui. Shui verkrampfte sich. Seine Augen schienen Giftpfeile in Pierres Richtung zu schiessen. Seine Hände krampften sich um die Armlehnen. Es kostete ihn enorme Selbstbeherrschung, um nicht gleich auf Xies Lover loszuspringen und ihn umzubringen.
Ratsch. Auf einmal hatte Shui die rechte Armlehne in der Hand. Die Drei und vor allem Pierre, sahen ihn verwundert an. Shui lächelte verlegen.
„War wohl lose.”, nuschelte Shui und legte die abgerissene Armlehne wieder an ihren Platz zurück.
„So wird's gewesen sein.”, sagte Ri knapp.
„Oh, da fällt mir noch etwas ein”, sagte Pierre.
„Ich konnte so auf die schnelle kein Hotelzimmer mehr bekommen. Würde es dir etwas ausmachen, wenn isch heute Nacht hier bleiben würde?”
„Oh, ich würde mich freuen.”, sagte Xie.
„Aber du musst schon Ri fragen. Es ist sein Haus.”
Xie sah Ri mit einem bittenden Blick an. Shui hingegen schüttelte verkrampft den Kopf.
„Ja, natürlich.”, sagte Ri nach kurzem Zögern.
Von Shui war nur ein leises Stöhnen zu hören.
„Isch muss sagen sie sind wirklich sehr gastfreundlich.”, sagte Pierre.
„Es ist schade, dass ein Mann wie sie, so eingesperrt wird.”
„Eingesperrt?”, fragte Ri verwirrt.
„Ja, es ist für sie sicher nicht einfach. Schliesslich müssen sie sich ja um ihren Bruder kümmern obwohl sie sicher besseres zutun hätten.”
„Ich kümmere mich aber gern um Yu. Mich hat niemand dazu gezwungen. Ich habe mich freiwillig dazu entschieden.”
„Wie auch immer. Wie macht sich meine kleine Xie eigentlich?”
„Wie meinen sie das?”
„Na, ist sie auch anständig?”
„Na ja, man kann's aushalten.”
„Ja, das ist meine Kirschblüte. Immer ein kleiner Tollpatsch.”
„Tollpatsch?”
„Ja, sie hätten sie sehen sollen, als wir uns kennen gelernt hatten. Hübsch aber so was von schüchtern.”
„Ach.”
„Ja aber dank mir ist sie zu einem richtigen Topmodel geworden. Sie wissen ja wie Frauen sind. Sie sagen zwar alle, dass sie prima zurecht kommen aber in Wahrheit sind sie ohne uns Männer verloren.”
„Meinen sie das Wirklich?”, fragte Shui und verbiss sich in seine Lippen.
„Ja, natürlisch. Die Frauen wollen doch, dass wir Männer ihnen sagen, wo's lang geht. Bei Xie ist das nicht anders. Sie hat zwar ein hübsches Köpfchen aber nicht allzu viel drin. Aber so sind die Frauen eben. Wenn ihnen niemand sagen würde, was sie zutun haben, dann würden sie nur in der Gegend rumstehen wie Salzsäulen. Was meinen sie, wieso die Frauen eigentlich an den Herd gehören? Dort richten sie am wenigsten Schaden an.”
„Das reicht!”, rief Shui plötzlich und schlug mit den Fäusten auf den Tisch.
„Seit sie hier sind, machen sie sich über alles und jeden lustig. Sie machen sich über Ri und seine Beweggründe lustig, sie stellen Yu nach und ich will gar nicht wissen, wie viele Witze sie schon über Japaner abgelassen haben. Aber wenn eines wirklich verachtenswert ist, dann ist es ihre Art, wie sie mit Frauen umgehen und vor allem wie sie Xie behandeln! Das ist doch echt das Letzte! Ich sag ihnen mal was. Sie kennen Xie kein bisschen. Sie ist nämlich sehr viel intelligenter als sie behaupten. Ausserdem ist sie extrem dominant und geschickt!”
Alle sahen Shui an. Dieser Ausbruch war ganz unerwartet gekommen. Xie und Ri sahen Shui mit offenem Mund an. Pierre verzog allerdings keine Miene.
„Shui, kommst du bitte mal mit mir raus?”, fragte Xie.
Sie stand auf, packte Shui am Kragen und schleppte ihn in den Garten hinaus. Xie presste Shui gegen die Hauswand.
„Sag mal, was fällt dir eigentlich ein?”, sagte Xie gereizt.
„Was meinst du?”
„Hör zu, ich find es ja nett, dass du dich für mich einsetzt. Aber lass das bleiben.”
„Nein.”
„Ich hab mit dem Typ noch ne Rechnung offen. Das geht aber nicht, wenn du mir dauernd in die Quere kommst. Du kannst auch den Zimmer wieder zurückhaben, wenn du für den Rest des Abends die Klappe hälst.”
„Nur wenn du mir versprichst, dass du nicht mehr draussen schläfst.”
„Okay, okay, aber jetzt bist du gefälligst still.”
Im selben Moment war Ri im Haus gerade dran den Tisch abzuräumen. Pierre hatte sich inzwischen ins Wohnzimmer gesetzt. Plötzlich kam Yu ins Wohnzimmer gelaufen.
„Na, nischt mehr schlescht?”, fragte Pierre.
„Ja, schon besser.”, sagte Yu knapp.
„Ich wollte eigentlich zu Ri aber ich kann auch warten.”
Yu wollte gerade gehen als Pierre ihn zurückrief.
„Warte doch mal Junge. Hast du dir mein Angebot mal überlegt?”
„Was für ein Angebot?”
„Na, das mit dem Modeln. Paris würde dir sischer gefallen. Du könntest auch endlisch mal von hier weg.”
„Danke aber nein danke. Ich habe ehrlich gesagt kein Interesse als laufender Kleiderständer zu fungieren. Ausserdem bin ich gerne hier. Bloss weil sie ein paar Kleider schneidern, die ein paar alte, reiche Ladys gut finden, macht sie das noch lange nicht zum Modeschöpfer. Ausserdem gibt es ihnen nicht das Recht alles und jeden zu kritisieren und jedem sagen zu können, was für ihn gut sein soll.”
„Du bist ganz schön frech, Junge. Hat dir denn niemand beigebracht, dass man Erwachsenen gegenüber Respekt haben soll?”
Pierre stand auf und stellte sich vor Yu hin.
„Mein Bruder hat mir beigebracht, dass ich Respekt vor Leuten haben soll, die meinen Respekt verdienen.”, sagte Yu trotzig.
Patsch! Ein dumpfes klatschen hallte durch den Raum. Yu war erstarrt, den Kopf zur Seite gedreht. Pierre hatte ihn geohrfeigt. Yu drehte seinen Kopf zurück, legte seine Hand an die Wange und starrte Pierre mit einer Mischung aus Angst und Entsetzen an. Aus den Augenwinkeln sah Yu, dass jemand in der Tür zur Küche stand.
Ris Augen funkelten, wie ein plötzlich aufflammendes Feuer. Auf der andern Seite des Wohnzimmers öffnete sich die Verandatür und Xie und Shui kamen herein. Keiner bewegte sich. Alle Starrten einander gegenseitig an. Es wirkte schon komisch, wie Yu so in der Mitte das Raumes stand, die Hand an die Wange gepresst und Pierre mit ausgestrecktem Arm.
Ri ging an ihnen vorbei und packte Xie am Arm.
”Ich weiss nicht wie du es anstellen willst aber sorg dafür, dass dieser Typ aus meinem Haus verschwindet!”, zischte er mit zusammengepressten Lippen.
„Reg dich ab Ri”, sagte Xie und warf einen flüchtigen Blick über die Schulter um sicherzustellen, dass keiner lange Ohren machte.
„Ich soll mich beruhigen?! Dieser Kerl kommt in mein Haus, macht dauernd blöde Bemerkungen, macht Witze die , ausser ihm, niemand komisch findet und beleidigt meine Familie. Das kann ich ja noch tolerieren aber wenn der Typ meint, er könne Yu einfach schlagen, dann ist bei mir Sense.”
„Ri, ich bitte dich, ich regle das schon.”
„Mir egal, der Typ verschwindet und zwar sofort. Wenn du es nicht tust, dann tu ich es.”
„Ri, ich mach das schon. Lass mich einfach machen. Vertrau mir.”
„Na, schön aber wehe dir, wenn sich dieser Mistkerl noch mal an Yu vergreift, dann fehlt dem nächstens der Kopf.”
„Dem fehlen bald noch ein paar andere Dinge.”
Ri und Xie drehten sich wieder zu den anderen um. Xie lächelte ihren Verlobten an. Ri hingegen schien keineswegs von Xies Worten überzeugt zu sein.
„Isch denke isch muss misch bei dir entschuldigen Yu.”, sagte Pierre plötzlich und wollte seine Hand auf Yus Wange legen.
„Fassen sie mich nicht an!”, rief Yu und wich der Berührung aus.
Ri zog Yu zu sich heran, ausser Pierres Reichweite.
„Pierre, Liebling.”, säuselte Xie plötzlich.
„Oui, ma cherie?”, sagte Pierre.
„Lass uns nach oben gehen. Ich hab noch eine kleine überraschung für dich.”
„Eine überraschung? Was kann das denn sein?”
„Komm mit nach oben, dann siehst du es.”
Pierre legte seinen Arm um Xie und führte sie aus dem Zimmer. Xie warf noch kurz einen Blick über die Schulter und zwinkerte Ri zu.
Yu sah seine beiden Brüder an. Ri starrte nur vor sich hin. Aus seinen Augen sprach blinde Wut. Sie schien förmlich in ihm zu brennen. Nur seiner enormen Selbstbeherrschung war es zu verdanken, dass er nicht einfach sein Schwert gepackt und Pierre damit den Kopf abgeschlagen hatte.
Shui starrte mit glasigem Blick zur Treppe. Xies Worte hallten immer noch in seinem Kopf wie ein Echo. Ich habe oben noch eine überraschung für dich. Und ihr Blick erst. Shui fragte sich, ob das noch die Xie war, die sie kennen gelernt hatten.
Auf einmal war aus dem Stock über ihnen lautes Getöse zu hören. Es hörte sich an, als wenn sämtliche Möbel umgeworfen würden.
„Was um Himmels Willen veranstalten die beiden da oben?”, fragte Yu.
Wie als Antwort auf seine Frage, flog auf einmal Pierre die Treppe hinunter. Vorsichtig linste Yu in den Flur.
Pierre lag mit blutender Nase am Boden. Auf dem unterste Treppenabsatz stand Xie. Hoch aufgerichtet und mit zum Kampf erhobenen Händen stand sie da. Pierre sah ziemlich verwirrt aus.
„Pierre scheint doch noch die wahre Xie kennen gelernt zu haben.”, sagte Shui.
„Du mieser kleiner Scheisser.”, sagte Xie zu Pierre.
„Du glaubst wohl, dass dir jede Frau einfach so zu Füssen liegt. Dass es für uns sogar noch eine Ehre ist den Schmutz von deinen Stiefeln zu lecken. Dann hab ich eine Nachricht für dich. Wir Frauen können ohne Probleme auch ohne dich leben.”
Xie trat nach Pierre. Ein bisschen hatte Yu fast schon Mitleid mit ihm.
„Das ist dafür, dass du immer auf Frauen rumtrampelst. Das dafür, dass du keinen Respekt hast. Das dafür, dass du meine Familie beleidigt hast und das ist dafür, dass du Yu geschlagen hast.”
Xie trat Pierre zwischen die Beine. Yu zuckte dabei zusammen. Xie zog ihren Verlobungsring vom Finger, warf ihn auf den Boden und trat ihn in Stücke.
Schliesslich packte Xie Pierre und hob ihn über ihren Kopf. Ri öffnete die Haustür.
„Darf ich bitten?”, sagte er höflich zu Xie.
Xie holte aus und warf Pierre in hohem Bogen aus dem Haus. Ri schloss die Tür hinter Pierre, der völlig verwirrt auf der Strasse vor dem Haus sass.
„So, damit wäre das wohl erledigt.”, sagte Ri und ging an den anderen vorbei ins Wohnzimmer.
Xie verschwand kurz im Zimmer und kam ein paar Minuten später wieder runter, dieses Mal mit Jeans und Sweatshirt und die Haare hatte sie auch wieder offen. Langsam hellten sich einzelne Strähnen wieder auf. Obwohl Yu fand, dass Xie auch mit schwarzen Haaren gut aussah.
„Sag mal, Xie.”, begann Yu. „Was sollte das eigentlich werden?”
„Ich hab nur einem Weiberheld mal ne Lektion erteilt.”, sagte Xie schlicht und warf sich aufs Sofa.
„Ich bin nur froh, dass du den Typen endlich rausgeschmissen hast.”, sagte Ri.
„Wenn du noch länger auf 'den richtigen Moment' gewartete hättest, dann hätte ich selber Hand angelegt.”
„Was meint ihr damit?”, fragte Yu ganz verwirrt.
„Hatte Xie etwa von Anfang an vor sich von Ihrem Verlobten zutrennen?”
„Jepp.”
„Und du hast das gewusst?”
„Genau.”
„Und hast nichts besagt? Wie bist du da eigentlich hinter gekommen.”
„Erinnerst du dich noch als ich Xie in die Küche geschleift hab? da hab ich sie ein bisschen ausgehorcht. Ich musste ihr allerdings versprechen nichts zu sagen.”
„Warum hast du dich eigentlich von deinem Verlobten getrennt, Xie?”
„Weil er ein verfluchter Möchtegerncasanova ist. Eine Freundin von mir ist mal auf den Typen hereingefallen. Hat ihr versprochen sie zu heiraten aber kaum hatte er eine bessere, sprich hübschere und dümmere, gefunden, da hat er sie einfach mal so abserviert. Ich kann solch Typen auf den Tod nicht ausstehen.”
„Dann hast du dich nur mit ihm verlobt um diese Show abzuziehen?”
„Jup, das war ja das Beste an der ganzen Sache.”
„Das ist doch krank.”
„Wieso? war doch nicht das erste Mal.”
„Nicht das erste Mal?!”
Xie zog eine Silberne Halskette aus ihrer Hosentasche. An der Kette hingen zwei Ringe.
„Das, sind die Typen, mit denen ich noch die Rechnung offen hab.”
Xie zog eine zweite Kette aus der anderen Tasche. An der hingen mindestens vierzig Ringe.
„Die, sind mir schon alle zum Opfer gefallen.”
Yu schluckte. Xie war ja eine männermordende Bestie.
„Ich bin jedenfalls froh, dass ich diesen Typen nie wieder sehen muss. Nur schon seine blosse Anwesenheit löste bei mir ein mulmiges Gefühl im Magen aus.”
„Kann ich verstehen. Der hat sie ja auch nicht alle.”
„Was meinst du damit?”
„Er hat eine Vorliebe für Kinder, besonders für Jungs in deinem Alter.”
„Was?!”, rief Ri auf einmal.
„Und so einen Irren holst du mir ins Haus?!”
„Reg dich ab, es ist doch nichts passiert.”
Bevor Ri antworten konnte, piepste sein Pager. Es war eine Nachricht aus dem Krankenhaus. Ri wurde dringend gebraucht. Ri packte schnell seine Jacke von der Garderobe und lief im Eiltempo aus dem Haus.
Yu beschloss auch ins Bett zugehen. Er fand, dass es an Aufregung für diesen Tag reichte.
Also blieb Xie alleine im Zimmer zurück.
Nach einer Weile kam Shui nach hause.
„Bin wieder da.”, rief Shui.
„Du warst weg?”, sagte Xie schnippisch.
„Wo warst du denn? Immer noch eingeschnappt wegen Pierre?”
„Nö, jetzt nicht mehr.”
„Jetzt?”
„Ich hab deinen lieben Ex-Verlobten ein bisschen geärgert.”
„Was hast du gemacht?”
„Nichts schlimmes. Er denkt jetzt nur, dass er spinnt.”
„Ich hab dir doch gesagt, dass du dich nicht einmischen sollst.”
„Ich dachte das Thema sei für dich erledigt. Da fällt mir ein, du schuldest mir noch was.”
„Was sollte ich dir denn noch schulden?”
„Einen Kuss.”
„He ho ho, immer langsam mit den jungen Pferden mein Guter. Du hast mir erlaubt zu tun, was ich will.”
„Ja, aber ich kann ihn zurückfordern, wenn ich will. Also?”
„Also, was?”
„Na, können wir? Du weißt schon.”
„Sag doch einfach 'Ich will', dann kriegst du deinen Kuss.”
„Ich will es aber nicht so.”
„Dein Pech.”
„Du bist ganz schön arrogant Xie.”
„Das ist keine Arroganz, das ist Sarkasmus.”
Xie stand auf und ging die Treppe hinauf in Shuis Zimmer. Shui folgte ihr.
„Sei doch nicht immer so verbohrt Xie.”
„Halt doch die Klappe! Du gehst mir aufn' Geist.”
Xie knallte die Tür hinter sich zu. Shui hatte gerade noch den Fuss zwischen die Tür schieben können, damit die Tür nicht unter lautem Krachen ins Schloss viel.
„Sei doch nicht so Xie.”
„Lass mich endlich in Ruhe.”
„Spiel doch nicht immer die Unnahbare.”
„Was soll ich spielen?!”
„Es ist doch so: In Wahrheit, bist du einsam. Eigentlich willst du ja eine Familie und eine feste Beziehung aber du hast Angst. Angst, dass du nur wieder verletzt wirst und leiden musst. Also kapselst du dich lieber ab. Du bist verbittert”
„Red kein Blech!”, schrie Xie.
Während ihres ganzen Streitgesprächs waren Xies Haare immer heller geworden. Nun waren sie wieder so schneeweiss wie zuvor.
„Na warte.”, sagte Xie mit zornbebender Stimme.
„Das wirst du gleich bereuen.”
Xie heftete ihren Blick auf Shui. Shui wusste gleich was jetzt kommen würde. Sie wollte ihn wieder einfrieren. Aus Xies Augen zuckte ein eisblauer Strahl. Shui duckte sich blitzschnell zur Seite. Der Strahl prallte gegen den Spiegel der hinter Shui an der Wand hing und wurden auf Xie zurückgeworfen. Xie erstarrte sofort und viel zu Boden.
„Xie?”, rief Shui.
„Xie bist du in Ordnung?”
In dem Moment öffnete sich die Zimmertür und Yu trat in den Raum.
„Was macht ihr zwei denn nur für einen Krach.? Es gibt Leute die schlafen wollen.”, sagte Yu schläfrig. Sein Blick fiel auf die am Boden liegende Xie.
„Was ist denn hier passiert?”
„Xie hat sich versehentlich selbst eingefroren.”
„Wie hat sie denn das geschafft?”
„Frag nicht. Wo ist Ri?”
„Im Krankenhaus.”
„Typisch, nie ist er da, wenn man ihn braucht. Und wie tauen wir Xie wieder auf.”
„Wieso wir? Das ist deine Sache. Ich hab damit nichts zu tun. Warum heilst du sie nicht?”
„Das geht nicht. Meine Kräfte sind mit dem Wasser verbunden. Wasser kühlt aber Xie muss aufgetaut werden und das klappt nur mit Feuer. Also bräuchte ich, der nicht da ist. Was soll ich nur machen.”
„Versuchs doch mal mit einem Kuss.”
Yu gähnte tief.
„Ein Kuss?”
„Ja, im Märchen funktioniert das immer.”
Shui dachte nach. Das klang so verrückt, dass es klappen könnte.
„Das ist eine gute Idee, Yu.”, sagte Shui.
„Das war doch nur ein scherz.”, sagte Yu müde aber Shui war nicht mehr zu bremsen.
Shui beugte sich zu Xie hinunter. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Langsam berührten Shuis Lippen Xies. Sie war eiskalt.
Kaum hatte Shui Xie geküsst, bekam ihr Gesicht wieder Farbe und sie öffnete die Augen. Xie zitterte heftig.
„M- mir i- ist so ... so kalt!”, sagte Sie bibbernd.
„Alles in Ordnung Xie?”, fragte Shui und hob Xies Oberkörper ein wenig an.”
„I- ich hab nen ... nen Fi- Filmriss. Was... was ist... passiert?”
„Du hast dich versehentlich selbst eingefroren.”
Yu war mittlerweile aus dem Zimmer geschlichen und wieder ins Bett gegangen. Shui hob Xie vom Boden auf, legte sie auf sein Bett und wickelte sie in die Bettdecke. Dann setzte er sich aufs Bett, lehnte sich gegen die Wand und nahm Xie in den Arm um sie zu wärmen.
„Was machst du auch für Sachen.”, sagte Shui leise.
„Ich bin nicht verbittert.” Murmelte Xie geistesabwesend.
„Huh?”
„Ich will doch nur in Ruhe gelassen werden. Ich kann nicht anders. Ich hatte nie Familie.”
„Ach, Xie.”
Xie schien im Schlaf zu sprechen. Shui strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Im Schlaf wirkte sie ruhig und verletzbar.
„Ich hab euch doch lieb.”, murmelte Xie noch bevor sie entgültig einschlief.

Das Wochenende ging, nach Yus Geschmack, viel zu schnell vorüber. Wieder ein Wochenende mit Turbolenzen.
Xie war am nächsten Morgen in Shuis Armen aufgewacht. Zum Glück hatte sie Shui dieses mal nicht gehauen. Von dem, was sie im Dämmerschlaf vor sich hin gebrabbelt hatte, wusste sie nichts mehr und Shui band es ihr auch nicht auf die Nase.
Yu war in die Schule gegangen, als die anderen alle noch geschlafen hatten. Lustlos sass er in seinem Bank. Es hatte gerade zur ersten Stunde geläutet. Hastig setzten sich die letzten Schüler noch auf ihre Plätze. Die Schiebetür zum Klassenzimmer öffnete sich und die Lehrerin Fräulein Hanasaki betrat den Raum. Ihr folgte ein Junge in Schuluniform. Die Schüler begannen zu tuscheln. Yu sah genauer hin. Es war kein Junge, sondern ein Mädchen, das die Schuluniform eines Jungen trug.
Die Lehrerin trat vor die Klasse.
„Das ist eure neue Klassenkameradin, Shiro Takahashi”, sagte Fräulein Hanasaki.
Das Mädchen verbeugte sich vor der Klasse.
„Setz dich doch auf den freien Platz neben Yu.”
Fräulein Hanasaki zeigte auf den Tisch neben Yu. Shiro nickte nur, ging wortlos durch die Bankreihen und liess sich schliesslich auf dem freien Platz nieder.
Yu sah sie an. Sie hatte kurzes, dunkles Haar, fast schwarz. Aber irgendwie wirkte sie verlassen. Wie sie so an ihrem Platz sass. Den Blick nach vorne gerichtet. Die Hände gefaltete auf dem Tisch liegend.
Während Yu so darüber nachdachte, fiel ihm plötzlich sein Bleistift aus den Händen und zu Boden. Er rollte Shiro direkt vor die Füsse. Diese beugte sich hinunter, hob den Bleistift auf und reichte ihn Yu.
Als Yu nach dem Bleistift griff und ihr dabei ins Gesicht sah, sah er ihr direkt in die Augen. Shiros Augen waren ebenso dunkel, wie ihre Haare. Sie wirkten fast wie ein tiefer See in dunkler Nacht. Ihr Blick schien von leid und Schmerz erfüllt zu sein. Schnell wandte sich Shiro von ihm ab. Aber dieser kurze Augenblick hatte genügt um Yu vollkommen durcheinander zu bringen. Er hatte keine Ahnung, was los war.
In der nächsten Stunde war Sport dran. Heute sollten sie Volleyball spielen. Ihr Sportlehrer teilte sie in Zweiergruppen auf. Yu sollte mit Shiro zusammenspielen.
Als der Lehrer die Gruppen bekannt gab, blickte Yu zu Shiro und lächelte um ihr ein Gefühl des Willkommens zu geben. Shiro stand abseits der Gruppe an die Wand gelehnt und hatte den Blick auf den Boden gerichtet.
Yu fand das ganz schön unhöflich von ihr, sich einfach so abzusondern. Allerdings kümmerte sich auch niemand aus der Klasse um sie. Es war, als wenn Yu der einzige war, der sie bemerkt hatte. Als wenn die andern sie gar nicht wahrnehmen konnten.
Der Sportlehrer blies in seine Trillerpfeife. Alle suchten sich einen Platz um zusammen zu trainieren. Nur Shiro stand immer noch an der Wand. Yu platzte fast der Kragen. Er stapfte zu Shiro hinüber und warf ihr den Volleyball an den Kopf. Zu seiner überraschung fing sie den Ball geschickt ab und klemmte ihn sich zugleich unter den Arm.
„Wir sollen zusammen spielen”, sagte Yu genervt.
„Hm”, war das Einzige, was Shiro von sich gab.
Yu hatte das Gefühl eine zweite Ausgabe von Xie vor sich zu haben. Allerdings nicht mit ihrem enormen Selbstbewusstsein, wie Yu schien.
Sie stellten sich in einer Ecke der Halle einander gegenüber und passten sich wortlos gegenseitig den Ball zu. Nach einer Weile pfiff der Lehrer wieder in seine Pfeife und wies sie an, nun zwei gegen zwei zu spielen.
Kaum hatte der Lehrer seine Anweisungen in die halle gebrüllt, da standen auch schon zwei Klassenkameraden von Yu vor ihnen.
„Wie wär's?”, fragte der eine und warf Yu den Ball zu, den er, dummerweise fallen liess.
Die beiden lachten. Yu mochte sie nicht besonders gut leiden.
Der eine hiess Ushio. Er war ein Schläger und Unruhestifter. Wenn er andere triezen konnte, war er am glücklichsten. Er war auch immer der erste, den man traf, wenn es irgendwo ärger gab. Sein Freund war Itaki. Er war sozusagen Ushios Trabant. Egal wo Ushio war, Itaki war nie weit. Er war zwar nicht so brutal wie Ushio und auch nicht ganz so hinterhältig aber er war genauso ein Eckel wie er. Auf jeden Fall wollte Yu ein Spiel mit den beiden vermeiden, da er genau wusste, was die beiden unter einem „Spielchen” verstanden.
„Na, wie sieht's aus?”, fragte Ushio höhnend.
„Oder habt ihr zwei etwa Angst.”
„Keineswegs”, antwortete eine Stimme hinter Yu.
Yu drehte sich um und sah auf Shiro, die den Volleyball aufgehoben und ihn unter den Arm geklemmt hatte.
„Oh, die Neue wagt den Tanz mit dem Teufel”, sagte Ushio belustigt.
Yu war verblüfft. Das war das Erste, was Shiro an diesem Tag gesagt hatte.
Sie ging schweigend in Position und sah die drei Jungs an. Yu stellte sich neben Shiro ins Feld. Ushio und Itaki gingen auf die andere Seite des Netzes.
Ushio hatte Aufschlag. Er warf den Ball in die Luft und schlug mit der Hand so heftig dagegen, dass er fast das Leder vom Ball gefegt hätte.
Der Ball kam übers Netz geflogen. Yu glaubte den ersten punkt schon verloren.
Mit einem mal sprang Shiro einen Schritt vor und streckte ihre Arme. Der Ball prallte mit einem laut klatschenden Geräusch von Shiros Armen ab und flog hoch in die Luft.
„Spiel ihn zurück”, rief Shiro Yu zu.
Yu tat, was Shiro sagte und spielte den Ball noch einmal hoch in die Luft direkt übers netz.
Shiro sprang am Netz entlang hoch und schlug den Ball mit der Hand auf der anderen Seite des Netzes runter. Der Ball krachte auf den Boden noch bevor Itaki ihn erreichen konnte.
Shiro bekam den Aufschlag. Auch den Aufschlag verwandelte sie gleich in einen Punkt.
So ging es weiter, bis es am Ende der Stunde zur Pause klingelte. Yu und Shiro hatten Ushio und Itaki haushoch geschlagen. Sie hatten nicht bemerkt, dass die anderen mit spielen aufgehört hatten, um ihnen zuzusehen.
„Das war super!”, rief Yu und hob die Hand.
Shiro erwiderte mit einem Handschlag, sagte aber nichts und ging dann in die Umkleidekabine um sich umzuziehen.
In der Pause lief Yu über den ganzen Schulhof. Er suchte nach Shiro. Er wollte gerne mit ihr reden. Endlich hatte er sie gefunden. Sie sass bei den Schaukeln. Yu ging näher.
„Hallo Shiro”, sagte Yu.
Shiro sah von dem Heft auf, dass auf ihrem Schoss lag.
„Was hast du da?”, fragte Yu und beugte sich darüber.
Shiro hob das Heft hoch und zeigte es ihm. Es war ein Zeichenheft. Die Zeichnungen waren alle mit Bleistift. Es gab Landschaftsbilder und auch Menschen. Die Bilder zeigten Fantasiegestalten. Elfen, Engel, Krieger, Dachen und noch vieles mehr.
„Sind die alle von dir? Die sind ja toll.”
Shiro lächelte.
Yu setzte sich neben sie.
„Sag mal, du spielst wohl schon länger Volleyball oder?”, fragte Yu.
„Ja”, antwortete Shiro knapp.
„Bevor wir hierher gezogen sind, habe ich in meiner Schule in der Schulmannschaft gespielt.”
„Wir haben hier auch eine Schulmannschaft. Wenn du mitmachen willst, musst du dich nur bei unserem Sportlehrer melden.”
„Nein, lieber nicht. Ich hab genug davon.”
„Was machst du denn sonst in deiner Freizeit?”
„Zeichnen, lesen normale Sachen eben. Und du? Treibst du Sport?”
„Nein, eigentlich nicht. ich trainiere zwar ein bisschen Kampsport aber das ist nichts besonderes.”
„Wo trainierst du das.”
„Mein Bruder bringt es mir bei.”
„Du hast einen Bruder?”
„Ja, zwei sogar.”
„Du bist zu beneiden.”
„Wieso?”
„Ich hätte auch gern einen grossen Bruder.”
„Bist du ein Einzelkind?”
„Nein, ich habe eine grosse Schwester.”
„Aber das ist doch auch gut. Glaub mir meine Brüder wirst du sicher nicht wollen.”
„Warum, sind sie denn nicht nett?”
„Doch, doch, zu nett sogar. Die sind andauernd so um mich besorgt, dass man meinen könnte, dass ich das Unheil geradezu anziehe.”
Was irgendwie auch der Wahrheit entsprach.
„Immerhin kümmern sich deine Brüder um dich. Meine Schwester kümmert es nicht die Bohne ob ich in Schwierigkeiten bin oder nicht.”
Yu lächelte nur müde. Wenn Shiro gewusst hätte, wie es wirklich um seine Familie stand, dann hätte sie ihn sicher nicht so beneidet.
Den Rest des Tages schwieg Shiro weiter. Nach dem Unterricht verschwand Shiro sofort. Yu hätte eigentlich gern noch mal mit ihr geredet aber er hatte keine Ahnung wo sie hin verschwunden war.

Als Yu die Haustür öffnete, hatte er gleich ein eigenartiges Gefühl. Es war so still. Kein Gerumpel, kein Geschrei, alles war seelenruhig.
„Hallo, ist jemand zuhause?”, rief Yu.
Er bekam keine Antwort. Yu lief ins Wohnzimmer. Dort sah er Ri, der schlafend in seinem Sessel lag. Yu fragte sich, ob er ihn wecken sollte. Das erübrigte sich. Denn Ri wachte auf, kaum dass Yu das Zimmer betreten hatte.
„Hab ich dich geweckt?”, fragte Yu.
„Ist schon gut”, sagte Ri und streckte sich.
„Ich muss wohl eingenickt sein. Wie oft hat man in diesem Haus schon die Gelegenheit, sich so zu entspannen.”
„Kaum. Apropos, wo sind Shui und Xie?”
„Shui arbeitet und Xie ist einkaufen gegangen.”
„Ach, dass die mal freiwillig etwas macht.”
„Ja, ich war auch überrascht. Sie meinte, sie wolle einfach mal aus dem Haus.”
„Das könnte sie doch auch so.”
„Wollte sie auch. Ich hab sie einfach gebeten, dass wenn sie schon raus wollte, auch gleich einkaufen könne.”
Yu lächelte. Ri sah Yu mit einem prüfenden Blick an.
„Wie war denn die Schule?”, fragte Ri.
„Ganz normal, wie immer halt. Ach ja, wir haben eine neue Schülerin bekommen.”
„Ach und wie ist sie so?”
„Na ja, sie scheint ganz nett zu sein. Ein bisschen verschlossen, hab ich das Gefühl.”
„Ist doch nichts Ungewöhnliches, wenn man neu ist.”
„Schon aber bei ihr war es irgendwie komisch. Fast, als wenn sie angst hätte sich mit den anderen einzulassen. Sie heisst übrigens Shiro.”
„Aha, sie scheint wohl irgend wann mal schlechte Erfahrungen gemacht zu haben.”
„Ist doch kein Grund sich so zurückzuziehen.”
„Würdest du sie gerne näher kennen lernen?”
„ähm, na ja... eigentlich... ja, eigentlich schon.”
„Dann tu es und werweiss, vielleicht zeigt sich schon bald ihr wahres Ich.”
Im Flur war zu hören, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde.
„Xie, bist du das?”, rief Ri in die Küche.
„Ja, ich bin wieder da”, sagte Xie und trat in die Tür zwischen Küche und Wohnzimmer.
„Na, ausgeschlafen?”
„Ja, das Nickerchen hat wirklich gut getan.”
„Na siehste? Auch du brauchst mal ne Pause.”
Ri ging in die Küche um Xie beim Einräumen zu helfen. Yu setzte sich aufs Sofa und holte seine Hefte hervor um Hausaufgaben zu machen. dabei bemerkte er ein Heft, das ihm gar nicht gehörte. Es war Shiros Zeichenheft. Yu musste es versehentlich eingesteckt haben. Er beschloss es ihr morgenfrüh gleich zurückzugeben. Yu legte das Heft zur Seite und begann mit seinen Hausaufgaben. Fast unmerklich wanderte sein Blick immer wieder zum Zeichenheft. Schliesslich warf Yu den Bleistift hin und griff nach dem Zeichenheft. Er begann darin herumzublättern.
Ihm gefielen Shiros Zeichnungen wirklich. Sie schienen irgendwie so verspielt und doch auch ernst und düster.
Yu blätterte weiter. Er erstarrte. Auf der nächsten Seite war eine Zeichnung, die er noch nicht kannte. Die Zeichnung war noch grob, sie musste erst vor kurzem begonnen haben sie zu zeichnen. Die Zeichnung zeigte Yu. Auf seinem Rücken war der Ansatz von Flügeln gezeichnet. Yu war von dem Bild regelrecht in Bann geschlagen.

Yu brach am nächsten Morgen noch früher auf als sonst. Er wollte Shiro um jeden Preis noch vor der Schule erwischen. Leider hatte der Zug an diesem Tag Verspätung. Nervös lief Yu auf dem Bahnsteig auf und ab. Da fiel ihm plötzlich ein Mädchen auf, Shiro. Sie stand da am Bahnsteig und wartete.
„Hey, Shiro”, schrie Yu über den ganzen Bahnsteig.
Shiro drehte sich auf seinen Ruf hin um und sah Yu überrascht an. Yu rannte zu ihr hinüber.
„Das ist ja n' Ding. Was machst du denn hier?”, fragte Yu aufgeregt.
„Ich wohne hier in der Nähe”, sagte Shiro verwirrt.
„Das ist ja irre. Ich wohne auch hier. Gleich da hinten.”
Yu zeigte in die Richtung seines Wohnquartiers.
„Und wo genau wohnst du?”
„Gleich da hinten.”
Shiro zeigte hinter sich die Strasse hinunter.
Da viel Yu wieder etwas ein. Er liess einen Träger seines Rucksackes von seiner Schulter rutschen und wühlte darin herum. Dann holte er Shiros Heft heraus.
„Ich muss es versehentlich eingesteckt haben”, sagte Yu.
Shiros Augen weiteten sich. Sofort streckte sie die Hand nach dem Heft aus und riss es Yu aus den Händen. Yu war völlig baff.
„Sorry”, sagte Yu verwirrt.
„Ich wollte es dir nur zurückgeben.”
„Entschuldige”, sagte Shiro.
„Ich bin manchmal etwas empfindlich.”
„Ist schon gut. Die letzte Zeichnung find ich am besten.”
Shiro sah Yu erstaunt an.
„Zeigst du sie mir noch mal, wenn sie fertig ist?”
Shiro nickte. In dem Moment fuhr der Zug ein und die beiden stiegen ein.

Yu und Shiro freundeten sich ab diesem Tag miteinander an. Sie trafen sich ab jetzt jeden Morgen am Bahnhof und gingen zusammen zur Schule und auch wieder nach hause. Auf dem Weg in die Schule verglichen sie die Hausaufgaben.
Wenn einer von ihnen Probleme mit den Aufgaben hatte, dann rief er einfach beim andern an.
Es war Samstagnachmittag, als der Zug am Bahnhof einfuhr.
„Mann, ich dachte schon, die Mathestunde geht nie zuende”, sagte Yu.
„Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir noch etwas mehr Zeit haben würden. Die letzte Aufgabe hätte ich fast gelöst.”
„Was machst du heute Abend noch?”
„Nichts Besonderes, ich bin heute alleine zuhause.”
„Was? Denn ganze Tag?”
„Ja.”
„Aber du kannst doch nicht den ganzen Tag alleine sein.”
„Muss ich wohl.”
„Ich habe eine bessere Idee.”
Yu nahm Shiros Hand und zog sie hinter sich her.
„Du kommst einfach mit zu mir.”
Shiro sagte nichts. Sie liess sich von Yu bis zu sich nach hause bringen.
„Da bin ich”, rief Yu und hielt Shiro die Türe auf.
„Ist wohl niemand da.”
Yu half Shiro aus der Jacke und hängte sie an die Garderobe.
Er ging schon mal ins Wohnzimmer, während Shiro sich noch die Schuhe auszog.
Als er ins Wohnzimmer trat, traf ihn fast der Schlag. Alle Möbel waren umgeschmissen, ein Riesen durcheinander herrschte und inmitten dieses Durcheinanders, schwebten Shui und Xie.
„Was zur Hölle macht ihr da?!”, flüsterte Yu entsetzt.
„Wir hatten ne kleine Meinungsverschiedenheit”, sagte Shui und fixierte Xie mit den Augen.
„Ich will nicht wissen, wie ein handfester Streit zwischen euch beiden aussieht. Wie auch immer, ihr müsst sofort aufräumen, ich habe einen Freund zu Besuch.”
Sofort schnippte Xie mit den Finger und alle Möbel flogen in Windeseile und geräuschlos wieder an ihren angestammten Platz.
„Ist hier alles in Ordnung?”, fragte Shiro und betrat ahnungslos das Wohnzimmer.
Shui und Xie sassen auf dem Sofa und liessen sich nichts anmerken.
„Ja, alles ready”, sagte Yu schwitzend.
„Aha, wir haben Damenbesuch” sagte Shui.
„Leute, das ist meine Schulfreundin, Shiro”, sagte Yu. Shiro verbeugte sich vor Shui und Xie.
„Shiro, das sind mein Bruder Shui und das ist sei... das ist unsere Mitbewohnern Xie.”
„Es freut mich, sie kennen zu lernen”, sagte Shiro höflich.
„Yu hat mir schon viel von ihnen erzählt.”
„Yu hat uns von dir aber nichts erzählt”, sagte Xie.
„Sag mal Yu, ist das die, die du in den letzten Tagen so oft angerufen hast?”, fragte Shui.
Yu versetzte Shui einen finsteren Blick und bedeutete ihm, still zu sein.
„Erzähl doch etwas von dir.”, sagte Shui zu Shiro gewandt.
„Also, ich heisse Shiro Takahashi. Ich bin siebzehn und vor einer Woche mit meiner Mutter und meiner Schwester hierher gezogen.”
„Aha und was ist mit deinem Vater?”
„Darüber möchte ich nicht sprechen”, sagte Shiro betrübt.
„schon gut, schon gut, du musst nicht, wenn du nicht willst.”
„Sie sind also Yus Bruder?”
„Ja, einer davon. Ich bin der jünger von beiden”
„Und der einfältigere”, ergänzte Xie.
„Und sie sind Shuis Freundin Xie?”
„Ich? Mit dem? Wer hat dir denn diesen Schwachsinn erzählt?”
Shui sah Xie an. Sein Blick wanderte von Xie zu Shiro.
„Wie kommst du denn auf die Idee?”, fragte Shui. Sein Blick war auf einmal so anders. Er hatte irgendwie etwas flirtendes.
„Ich bin noch Single.”
Shui stand auf und setzte sich neben Shiro.
„Irgendwie, hab ich einfach noch nicht die richtige Frau gefunden.”
Shui sah Shiro tief in die Augen.
„Du hast aber schöne Augen. So dunkel. Man könnte meinen, dass man durch ein Fenster in die Nacht hinaus schaut.”
Xie und Yu blieb der Mund offen stehen. Shui sah zu Xie, dann zu Yu. Yu starrte Shui entsetzt an. Shuis blick wanderte wieder zu Xie und dann wieder zu Yu. Er zwinkerte Yu zu. Nun verstand Yu. Er wollte Xie eifersüchtig machen. Das schien aber keine Wirkung zu haben. Sie sass nur da, mit verschränkten armen und Beinen und sah auf Shiro, die Shui immer noch anstarrte.
„Nimm dich in acht”, sagte Xie zu Shiro.
„Hast du etwa angst, dass sie sich noch in einen Mann verliebt der älter ist als sie?”, fragte Shui.
„Nein, ich will nur nicht, dass sie Genickstarre kriegt, wenn sie dir noch lange in die Pupillen starrt.”
Shui legte seinen Arm um Shiros Schultern.
„Sag mal Shiro, hast du eigentlich einen Freund?”, fragte Shui und lächelte dabei richtig verführerisch.
„Nein”, sagte Shiro zögernd, „Ich bin schon seit zwei Jahren Single.”
„Was, im Ernst? So ne Verschwendung. Die Jungs müssen wohl blind sein. Ich hätte gedacht, dass sich die Jungs um dich prügeln.”
„Tja, so wies aussieht, haben sie wohl anderes zu tun.”
„Und der soll in der anderen Welt ein Mädchenschwarm sein?”, murmelte Xie.
„Die armen Dinger sind ja wirklich leicht zu beeindrucken.”
Yu fand, dass die Sache langsam zu weit ging. Irgendwie störte es ihn langsam gewaltig, dass Shui sich so an Shiro ran machte.
„Sag mal Shiro, was für Anforderungen stellst du denn so an deinen Zukünftigen?”, fragte Shui scheinheilig.
„Wieso interessiert dich das eigentlich?”, fragte Xie.
„Na ja, ich dachte, dass man ihrem Singledasein vielleicht Abhilfe schaffen könnte.
Ich meine, so ein Leben ist doch deprimierend.”
„Ich denke eher, dass sie intelligent genug ist und erkannt hat, dass sie ohne Kerl doch besser dran ist. Ausserdem muss sie sich ja nicht mit einem Trottel wie dir rumschlagen, so wie ich.”
„Dann sind sie also doch liiert.”, sagte Shiro.
„Zu meinem Leidwesen, ja.”
„Wieso denn? Ich stelle mir das wunderbar vor. Einen Menschen zu haben, der immer da ist, wenn man ihn braucht und der einen aufmuntert, wenn man traurig ist.”
„In welcher Traumwelt lebst du eigentlich, ich will auch dort hin. Ich sag dir mal was über Männer. Sie sind laut, sie sind dumm und sie glauben sie sähen gut aus.”
„Nicht alle”, sagte Shui.
„Stimmt, es gibt Ausnahmefälle die glauben sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen.”
Yu tippte auf Shiros Schulter. er hielt ihren Rucksack hoch.
„Ach ja, wir wollten ja Hausaufgaben machen”, sagte Shiro.
„Gehen wir in die Küche”, sagte Yu, „da ist es ruhiger.”
Shiro stand auf und Folgte Yu in die Küche. Sie setzten sich an den Küchentisch und packten ihre Hefter und Bücher aus. Shiro hatte schon bald ihre Bücher über den ganzen Tisch verteilt. Während Shiro an ihrem Geschichtsaufsatz, hatte Yu an seinen Algebragleichungen zu knappren.
„Shiro, kannst du mir mal schnell helfen?”, fragte Yu.
„Ich verstehe das hier einfach nicht.”
Shiro legte den Füller beiseite und beugte sich zu Yu hinüber.
„Das ist ganz leicht”, sagte sie.
Shiro nahm ein Blattpapier und erklärte Yu jeden Rechenschritt ganz genau.
Wie sie so Seite an Seite sassen und sich gegenseitig bei den Hausaufgaben halfen, merkten sie nicht, dass sie beobachtet wurden.
Xie stand mit dem Rücken an der Wand neben der Tür zwischen Küche und Wohnzimmer. Schon seit einer Weile beobachtete sie die beiden. Ihr Blick war auf Shiro gerichtet. Jede Bewegung, jedes Wort von ihr und jede Gestik wurde von Xie genau registriert.
Jemand tippte plötzlich auf Xies Schulter. Xie wirbelte herum. Shui stand hinter ihr.
„Was machst du denn da?”, fragte er.
„Nichts”, sagte Xie.
„Du spannst doch wohl nicht etwa?”
„Nein!”
„Was machen die Zwei da drin denn so? sind sie schon bei den Zungen?”
„Du bist so was von ekelhaft. Sie machen doch nur Hausaufgaben.”
„Und warum spionierst du dann?”
Xie packte Shui am Arm und schleifte ihn durchs Wohnzimmer und zur Verandatür hinaus.
„Ein einfaches 'komm bitte mit', hätte auch gereicht”, sagte Shui und richtete sein Hemd wieder.
„Es ist wegen Shiro”, sagte Xie.
„Was?”
„Shiro”
„Was soll mit ihr sein?”
„Irgendwas stimmt nicht mit ihr.”
„Na ja, sie ist ein bisschen still aber ansonsten ist sie doch nett. Ich meine, bloss weil ihre Familie nicht ganz komplett ist.”
„Ich meine, dass sie kein richtiger Mensch ist!”
„Wie? Kein Mensch?”
Xie dämpfte die Stimme.
„Ich weiss nicht genau, was los ist aber ich habe so ein komisches Gefühl. Ich spüre eine fremde Energie um sie herum.”
„Meinst du, dass sie uns gefährlich werden könnte?”
„Ich weiss es nicht. Wir sollten sie im Auge behalten.”
Xie drehte sich um und ging ohne ein Wort zur Verandatür zurück.
„Ach, ich denke, dass wir Yu und Ri besser nichts davon sagen, bis wir genaueres wissen.”
Shui nickte. Er hatte auf einmal ein flaues Gefühl im Magen. Er hoffte, dass Xie sich irrte. Andererseits, irrte sich Xie doch nie.
Xie ging direkt in die Küche. Shiro sass alleine am Tisch. Sie war über ihr Geschichtsbuch gebeugt und schrieb sich hin und wieder etwas auf einen Notizzettel.
„Wo ist Yu?”, fragte Xie.
„Er ist noch schnell in sein Zimmer um ein Buch zu holen”, sagte Shiro als sie von ihrem Buch aufsah.
Xie setzte sich zu Shiro an den Tisch. Xie fixierte sie mit ihrem Blick.
„Was ist?”, fragte Shiro.
„Du hast doch gesagt, dass du mit deiner Mutter und deiner Schwester hierher gezogen bist. Von deinem Vater, hast du allerdings nicht gesprochen.”
„Ja und?”
„Ich würde nur gern etwas darüber erfahren.”
„Wieso?”
„Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater ist noch vor meiner Geburt verschwunden. Vermutlich ist er auch tot. Jetzt kennst du meine Geschichte, jetzt kannst du mir deine erzählen.”
Shiro zögerte. Sie sah Xie an. Ihn ihren Augen spiegelten sich Unsicherheit und Angst.
„Mein Vater ist ermordet worden.”
Eine Träne glitzerte in ihren Augen.
„Ich bin fünf gewesen. Er ist vor meinen Augen ermordet worden. Meine Mutter sagte damals, dass er Geschäfte mit irgendwelchen Gangstern gemacht hat. wir mussten seitdem oft umziehen. Meine Halbschwester hasst mich deswegen. Sie konnte mich noch nie leiden. Mein Vater hatte sich, wie sie sagt, in ihr Leben gedrängt und einfach den Platz ihres Vaters eingenommen.
Meine Mutter arbeitet so viel, sie hat kaum Zeit für mich.”
Shiro weinte. Sie konnte die Tränen einfach nicht zurückhalten. Xie legte ihre Hand auf ihre Schulter. Shiro fiel Xie plötzlich um den Hals. Xie versuchte erst, Shiro abzuschütteln. Dann überlegte sie es sich anders. Shiro beruhigte sich gleich wieder.
„Tut mir leid”, sagte Shiro und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
„Ich konnte mich einfach nicht mehr beherrschen.”
„Ist schon gut”, sagte Xie.
„So was ist ja mal erlaubt.”
In dem Moment trat Yu wieder in die Küche. Shiro wandte sich sofort ab und wischte sich die Augen an ihrem T-Shirt trocken.
„Was ist los?”, fragte Yu.
„Nichts”, sagte Shiro, „meine Augen tränen.”
„Sollen wir mal ne Pause machen?”
„Ja, das währ nicht schlecht.”
Yu holte zwei Flaschen Cola und ein Wasser aus dem Kühlschrank und setzte sich zu den Mädchen an den Tisch.
Yu und Shiro begannen über ihren Sportlehrer zu unterhalten. Sie kamen einstimmig überein, dass er zwar sportlich sei aber sonst nicht alle Tassen im Schrank habe. Sonst würde er wohl nicht so auf Konditionstraining bestehen. Erst als sich das Gespräch auf Filme und Bücher zu bewegte, klinkte sich Xie in die Unterhaltung mit ein. So fachsimpelten die drei fast anderthalb Stunden.
Schliesslich, als die Sonne schon am untergehen war, war im Gang das Geräusch der sich öffnenden Haustür zu hören. Sekunden später betrat Ri die Küche.
„Oh, wie ich sehe, haben wir Besuch”, sagte Ri mit einem Blick auf Shiro.
„Na, willst du mir deine Freundin nicht vorstellen, Yu?”
„Oh, ja natürlich”, sagte Yu.
„Shiro, das ist mein Bruder Ri. Ri, das ist Shiro, und sie ist nicht meine Freundin.”
„Das ist der Grund für die hohe Telefonrechnung der letzten zwei Wochen.”, sagte Xie.
„Freut mich dich kennen zu lernen Shiro”
Ri reichte Shiro die Hand. Shiro erwiderte die Geste und bot Ri ebenfalls die Hand.
„Dito”, sagte Shiro schüchtern.
„Oh, Madame spricht Latein?”
„Nein, nur ein paar Wörter.”
Während des Händedrucks drehte Ri Shiros Hand mit dem Handrücken nach oben.
„Einen hübschen Ring trägst du da”, sagte Ri.
Shiro trug einen unauffälligen Goldring mit einem dunkelroten Stein. Yu war der Ring noch nie aufgefallen.
„Danke”, sagte Shiro und zog ihre Hand langsam zurück.
„Er war ein Geschenk von meinem Vater.”
Ri hatte auf einmal einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Aber schon nach Sekunden schien er den Gedanken beiseite geschoben zu haben und lächelte.
„Bleibst du zum Essen Shiro?”, fragte Ri.
„Nein”, sagte Shiro.
„Ich muss gehen. Meine Schwester wartete zuhause sicher schon auf mich.”
Shiro hob ihren Rucksack vom Boden auf und fuhr mit dem rechten Arm in den Träger.
„Also, ich geh dann”, sagte Shiro.
„Machs gut”, sagte Xie schlicht.
Yu begleitete Shiro noch bis zur Tür.
„Dann bis Montag”, sagte Yu und wollte Shiro erst zum Abschied umarmen, gab ihr dann aber doch nur die Hand.
„Ja, bis Montag”, sagte Shiro.
„Wenn du noch Fragen hast wegen der Hausaufgaben, ruf mich einfach an.”
„Okay, mach ich.”
Shiro ging. Auf der Strasse drehte sie sich noch mal um und winkte Yu zu. Yu winkte zurück. Shiro drehte sich wieder m und lief zügig die Strasse hinunter. Yu sah ihr nach. Erst als Ri ihm von hinten die Hand auf die Schulter legte, kehrte er wieder in die Realität zurück.
„Ich glaube, du kannst die Hand wieder runter nehmen”, sagte Ri lächelnd.
Yu nahm hastig die Hand runter, die er immer noch in die Luft erhoben hielt.
„Nettes Mädchen diese Shiro.”
„Ja, sehr nett”, sage Yu mit seltsam verträumter Stimme.
„Du könntest sie doch mal zum Essen einladen. Ich würde sie gerne mal kennen lernen.”
„Ja, warum nicht.”
Yu trottete wieder zurück ins Haus. Ri glaubte, dass Yu ihm gar nicht zugehört hatte.
„Hey Kleiner, lauf mir nicht in die nächste Wand”, sagte Ri vorsichtshalber, denn Yu lief gefährlich nah an den Ecken vorbei.
Aber Ris Warnung kam leider eine Millisekunde zu spät. Denn im selben Moment bog Yu gedankeverloren um eine Ecke und stiess mit Shui zusammen.
„Hey, rechts vor links!”, rief Shui und packte Yu, der vom Aufprall zurückgeschleudert worden war. „Was'n mit dir los? Schlafwandelst du?”
„Was is los?”, fragte Yu, der erst jetzt kapiert zu haben schien, was passiert war.
Shui legte Yu seine Hand auf die Stirn.
„Fieber hat er aber keins”, sagte Shui zu Ri gewandt.
„Nein, er ist kerngesund”, sagte Ri lachend.
„Hm, glasiger Blick, Tagträumerei, abwesend. Ihre Diagnose Dr. Ri?”
„Hm, also Schwester Shui. Nach den Symptomen zu urteilen, würd ich sagen, unser geschätzter Bruder leidet an einer Krankheit, die für gewöhnlich meist im Frühling auftritt.”
„Konnten Sie den Erreger schon isolieren?”
„Ja, der Erreger ist etwa einen Meter sechzig gross, dunkelhaarig und dunkeläugig.”
„Aha, alles klar.”
„Kann mal jemand übersetzen?”, sagte Yu genervt.
„Ganz einfach”, sagte Shui und legte seinen Arm um Yus Schultern.
„Du bist verknallt.”
„Wie? Wer? Ich?”
„Na siehst du hier noch jemanden, der wie im Delirium durch die Gegend latscht?”
„Ihr habt sie doch nicht mehr alle. Ich und verknallt.”
„Mein Lieber, der Blick mit dem du Shiro vorhin angesehen hast, hat wahre Bände gesprochen”, sagte Ri.
Yu sah Ri wie versteinert an. Er wurde rot.
„Ihr seid doch beide nicht ganz dicht!”, rief Yu und lief davon.
Shui sah ihm völlig verdattert nach.
„Sollen wir hinterher?”, fragte Shui. Ri schüttelte den Kopf.
„Yu soll das mit sich selbst ausmachen. Wie auch immer, ich kümmere mich mal ums Abendessen.”
Ri ging in die Küche und liess Shui allein im Flur zurück. Shui ging ins Wohnzimmer. Xie sass auf dem Sofa und las.
„Du liest?”, fragte Shui und tat erstaunt.
„Sind nicht alle solche Analphabeten wie du”, antwortete Xie ohne von ihrem Buch aufzusehen.
„Ich hab keine Lust mit dir zu streiten, dafür bin ich im Moment zu gut drauf.”
Shui liess sich in den Sessel sinken und streckte sich genüsslich.
„Apropos, weswegen haben wir uns vorhin eigentlich wieder in die Haare gekriegt?”
„Keine Ahnung, hab's vergessen. Was war eigentlich los eben?”
„Stell dir vor Yu ist verknallt.”
„Na, hoffentlich stellte er sich nicht so blöd an wie du.”
„Also, ganz verkehrt schein ich das ja wohl nicht zu machen. Sonst würden mir in der anderen Welt ja nicht alle Mädchen nachlaufen.”
„Es gibt ja auch nicht so viele tolle Männer dort. Wer ist denn eigentlich Yus Herzdame?”
„Na, die Kleine von eben. Shiro.”
Xie liess ihr Buch fallen. Mit offenem Mund starrte sie Shui an.
„Stimmt etwas nicht?”, fragte Shui als er die geschockte Xie sah.
„Das ist nicht gut.”
„Warum nicht?”
„Du hast echt ein Gedächtnis wie ein Sieb. Wenn Yu sich jetzt in Shiro verliebt, dann haben wir ein Problem.”
„Haben wir?”
„Natürlich, denk doch mal nach. Solange wir nicht wissen, was mit Shiro nicht stimmt, könnte das Gefahr bedeuten. Für Yu und für uns.”
„Meinst du?”
„Shui, wir müssen Yu dringend von Shiro fern halten. Zumindest, bis wir sicher sein können, dass Shiro harmlos ist.”
„Ob das so eine gute Idee ist?”
„Es geht hier immerhin um Yus Sicherheit. Wir machen es so: Ich kümmere mich um die Nachforschungen und du sorgst gefälligst dafür, dass Yu und Shiro nicht allzu oft alleine sind, klar?”
„Klar.”
In dem Moment kam Yu wieder die Treppe runter. Er telefonierte gerade mit Shiro. Shui sah wehleidig in die Gegend hinaus.
„Das wird ein schwieriges Unterfangen.”
„Ach und noch was”, sagte Xie auf einmal.
„Was denn?”
„Wir sollten Ri besser nichts davon sagen.”
„Wieso denn nicht?”
„Ich denke, er macht sich schon genug Sorgen um Yu. ausserdem haben wir ja noch keinen Beweis dafür, dass mit Shiro etwas nicht stimmt.”
Shui nickte. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. Die Vorstellung, Yu auszuspionieren, gefiel ihm irgendwie gar nicht. Noch weniger behagte ihm der Gedanke, Ri verschwiegen zu müssen, dass Yu in Gefahr sein könnte.

In den nächsten Tagen war Xie selten zuhause. Sie stand Morgens früh auf, war den ganzen Tag wer weiss wo und kam erst spät Abends wieder. Keiner wusste wo sie sich den ganzen Tag rumtrieb. Nicht einmal Shui hatte sie es anvertraut.
Shui erfüllte unterdessen seinen Teil der Aufgabe. Fast jeden Tage begleitete er Yu unter irgendeinem Vorwand zur Schule und holte ihn dann auch immer, ganz zufällig, wieder ab. Was Yu allerdings nicht bemerkte war, dass Shui ihm fast jeden Tag zur Schule und wieder nach hause folgte. Er verbarg sich auf einem Baum auf dem Schulgelände und verlor Yu keinen Augenblick aus den Augen. Ausser, wenn er einschlief, was öfters vorkam. Yu konnte auch sonst nicht das Haus verlassen, ohne dass Shui ihm heimlich folgte.
Xies Suche schien keine Ergebnisse zu bringen. Jeden Abend kam sie müde zurück und schüttelte nur vielsagend den kopf, wenn Shui sie erwartungsvoll ansah.
An einem schulfreien Nachmittag war Yu allein zuhause. Xie war wieder auf der Pirsch und Shui war auch am arbeiten. Er konnte ja schlecht wochenlang fehlen. Ausserdem waren ihm die Ausreden ausgegangen.
Ri war wie gewöhnlich im Krankenhaus. Er hatte Yu versprochen, dass er heute früher nach hause kommen würde. Ri wollte Yu kochen beibringen.
Yu sass im Wohnzimmer und sah Fern. Lustlos zappte er von einem Programm zum anderen. Ihm war langweilig. Seine Freunde hatten alle keine Zeit. Von seinen Guardianfreunden hatte er auch lange nichts mehr gehört.
Als Yu vor Langeweile schon fast am einschlafen war, hörte er ein leises Klopfen. Es klang, wie wenn jemand an eine Glasscheibe klopfen würde. Yu drehte den Kopf zur Verandatür. Draussen schwebte ein Person vor der grossen Glasscheibe. Yus Freund Taki.
Sofort sprang Yu auf, rannte durchs Wohnzimmer, riss die Verandatür, packte Taki am Arm und schleuderte ihn ins Wohnzimmer.
„Das ist ja eine stürmische Begrüssung”, sagte Taki und rieb sich den Kopf.
„Hat dich jemand gesehen?”, fragte Yu und spähte nervös in den Garten.
„Mir geht's gut und dir?”
„Was machst du überhaupt hier?”
„Freut mich auch dich zu sehen.”
„Sorry, schön dass du mich besuchst. Wie hast du mich überhaupt gefunden?”
„Ich hab mir das Tor gemerkt durch das du gekommen bist.”
„Ich dachte, dein Vater lässt dich nicht auf die Erde. Wie hast dus geschafft, dass du gehen durftest?”
Takeshi grinste schief.
„Gar nicht”, sagte er.
„Was meinst du damit?”
„Bin abgehauen.”
„WAS?!”
Yu starrte Taki mit offenem Mund an.
„Du bist einfach so abgehauen?!”
„Nein, natürlich nicht. mein Vater hat nicht mal bemerkt, dass ich weg bin. Daher kann man eigentlich nicht von abhauen reden.”
Yu liess sich aufs Sofa sinken.
„Und?”, fragte Taki.
„Wie und?”, antwortete Yu.
„Na, was machen wir jetzt?”
„Wir?”
„Ja, wenn ich schon mal hier bin, dann will ich auch mal die Stadt sehen.”
Yu sah Taki von der Seite an.
„So kannst du aber nicht raus”, sagte Yu.
„Warum nicht?”
Taki trug den üblichen Kimono. Seine Flügel waren weit gespannt.
Yu nahm Taki an der Hand und führte ihn in sein Zimmer. Nach kurzem Kramen in seinem Kleiderschrank zog Yu eine Jeans und T-Shirt hervor, die etwa Takis Grösse haben mussten. Zögernd zog Taki die Sachen an, die Yu ihm gegeben hatte. Neugierig betrachtete er sich im Schrankspiegel. Yu kam wieder zur Tür hinein. über dem Arm trug er eine Jacke, Schuhe und eine Schirmmütze.
„Gefällt es dir?”, fragte Yu.
„Ein bisschen gewöhnungsbedürftig”, sagte Taki kritisch.
„Sieht aber gut aus.”
„Warum muss ich das eigentlich anziehen? Kann ich nicht meine normalen Klamotten tragen?”
„Also noch mal. Die Menschen hier tragen für gewöhnlich keine so extravagante Kleider. Ausserdem soll dich doch keiner erkennen.”
Yu warf Taki die Jacke um die Schultern und setzte ihm die Schirmmütze auf.
„So, jetzt siehst du wie ein normaler Teenager aus.”
Taki lachte. Die beiden gingen aus dem Haus.
„Rekapitulieren wir”, sagte Yu als er die Haustür schloss.
„Was sollst du nicht tun?”
Taki begann aufzuzählen: „Nicht fliegen, nicht zaubern und nicht... ähm, was war das letzte noch mal?”
„Nicht über Guardians und Dämonen reden.”
„Ach ja, warum nicht?”
Yu klatschte sich mit der Hand gegen den Kopf.
„Weil die Leute hier nichts davon wissen.”
„Warum wissen sie nichts von uns?”
„Das weiss ich selber nicht, es ist einfach so.”
Yu und Taki gingen die Strasse hinunter zum Bahnhof. Die Jungs gingen in die Innenstadt. Im Stadtzentrum gab es einiges, was Takis Aufmerksamkeit erregte. Taki hielt an jedem Saufenster und sah hinein. Am besten gefiel ihm die Spielhalle. Die Videospiele waren für Taki etwas vollkommen neues. Als Yu und Taki an einer Eisdiele Halt machten und sich ein Eis genehmigten, konnte Yu endlich mal verschnaufen. Taki war völlig aufgedreht. Er wollte zu gerne noch mehr sehen.
Jemand trat von hinten auf Yu zu. Yu wirbelte herum. Es war Shiro.
„Hi”, sagte Shiro munter.
„Hallo Shiro, wie geht's?”, sagte Yu.
„Gut, wer ist denn dein Freund?”
„Oh, das ist Taki.”
Taki sah Shiro an. Dann nahm er ihre Hand und gab ihr einen Handkuss.
„Freut mich dich kennen zu lernen”, sagte Taki mit einer charmanten Verbeugung.
„Ich wusste gar nicht, dass du eine so hübsche Freundin hast.”
„Nein, nein”, sagte Shiro und wurde rot.
„Wir sind nur Schulfreunde.”
„Ja, genau so ist es”, sagte Yu und grinste verlegen.
„Wirklich?”, fragte Taki erstaunt.
Shiro unterhielt sich eine Weile mit Yu und Taki. Die Drei hatten sich auf eine kleine Mauer gesetzt und plauderten munter drauflos. Sie lachten, scherzten und amüsierten sich zusammen. Schliesslich stand Shiro wieder auf.
„Ich muss gehen”, sagte Shiro, „Meine Schwester dreht mir den Hals um, wenn ich zu spät komme.”
Shiro winkte den Jungs im Laufen noch einmal zu.
„Mach's gut”, rief Yu ihr nach.
Taki grinste neben Yu.
„Was ist los?”, fragte Yu.
„Du verstehst dich doch sehr gut mit Shiro”, sagte Taki.
„Ja, wir kommen gut miteinander aus.”
„Mich wundert's, dass ihr nicht zusammen seid.”
„Wie?”
„Ja, ihr würdet gut zusammenpassen.”
„Findest du?”
Yu musste wieder an die Situation von neulich denken, als Ri und Shui ihm erörtert hatten, dass er offensichtlich verliebt sei. Yu war noch nie zuvor verliebt gewesen. Er fragte sich wie das wohl so ist verliebt zu sein.
Völlig in Gedanken versunken schlenderte Yu neben Taki her die Strasse hinunter. Als Yu wieder aufsah, sah er eine Person, die schnell die Strasse hinunter auf sie zu lief. Als sie näher kam, erkannte Yu Xie.
Ihr langes weisses Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte, flatterte hinter ihr im Wind. Sie war in grosser Eile. Offenbar suchte sie etwas. Sie sah sich immer wieder nach allen Seiten um. Als sie Yu gesehen hatte, rief sie ihn und rannte zu ihm und Taki hinüber.
„Hey, Yu”, sagte sie und rang erst mal nach Luft.
„Was ist los Xie, was rennst du so?”, fragte Yu.
„Alle Guardians sind zusammengerufen worden”, keuchte Xie. „Stell dir vor, wir sollten alles sofort stehen und liegen lassen und uns sofort zusammenfinden.”
„Warum?”
„Der Sohn des Ratsvorsitzenden ist verschwunden.”
„Was?!”, riefen Yu und Taki wie aus einem Mund.
„Ja, ich sag dir, das ist nicht zu glauben. Sämtliche Guardians durchkämmen im Moment die Stadt.”
Yu wurde unbehaglich zumute. Er setzte schnell ein Lachen auf und sagte zu Xie: „Also dann, viel Spass beim Suchen. Wir gehen dann mal wieder.”
Yu drehte sich um und zog Taki hinter sich her. Die beiden liefen so schnell sie konnten die Strasse hinunter um von Xie wegzukommen. Nervös sah sich Yu nach allen Seiten um. Jeder, der die Strasse entlang kam, jeder, der in einem Restaurant sass oder aus einem der Geschäfte kam konnte ein Guardian sein und Taki jeden Moment erkennen.
Yu warf einen Blick über die Schulter um sicherzugehen, dass sie nicht verfolgt wurden. Yu hätte besser nach vorne sehen sollen, denn im nächsten Augenblick stiess er mit einem Passanten zusammen. Yu sah hoch. Vor ihm stand Ri.
„Hi Ri”, sagte Yu, „musst du nicht arbeiten?”
Ri sagte kein Wort. Er hatte die Arme verschränkt und sah Yu finster an.

Ri hatte Yu und Taki sofort nach hause gebracht. Yu sass zusammengekauert auf dem Sofa. Taki sass im Sessel neben dem Kamin. Shui und Xie standen an der Wand.
Ri aber hatte kein Wort gesagt seit er sie nach hause gebracht hatte. Er schritt vor Yu energisch auf und ab.
„Was fällt dir eigentlich ein, dich einfach so in der Stadt rumzutreiben?!”, schrie Ri auf einmal so laut, dass Yu zusammen zuckte. „Der Sohn des Ratsvorsitzenden läuft weg und du gehst mit ihm Eis essen! Das ist nicht zu glauben! Was hätte da nicht alles passieren können! Ich fass es nicht!”
„Es tut mir leid”, sagte Yu kleinlaut.
„Es tut dir leid? Es tut dir leid?! Red ich eigentlich gegen eine Wand?! Ich sag dir doch immer wieder, dass du vorsichtig sein sollst und du spazierst einfach so in der Gegend rum!”
„Ich wollte doch nicht, dass jemand ärger kriegt.”
„Du machst doch dauernd ärger! Egal, was ich dir sage, du machst immer das Gegenteil! Was muss ich denn noch veranstalten, damit du endlich begreifst...”
„Halt doch die Klappe!”, schrie Yu plötzlich.
„Wie war das?”
„Du sollst die Klappe halten! Du sagst, dass ich nicht verstehe, aber du verstehst mich genauso wenig. Wenn es nach dir ging, dann würde ich das Haus doch gar nicht mehr verlassen. Du bist doch nicht normal. Wenn ich mal nur fünf Minuten zu spät komme, drehst du gleich im roten bereich. Du machst mir dauernd Vorschriften, du bist nicht mein Vater!”
„Dein Vater bin ich vielleicht nicht, aber als dein Bruder habe ich auch eine gewisse Verantwortung dir gegenüber!”
„Jeder andere wäre ein besserer Vater als du!”
Allen beteiligten verschlug es auf einmal die Sprache. Ri hatte ausgeholt und schlug Yu mit der flachen Hand, dass dieser durch die Wucht des Schlages nach hinten geworfen wurde und gegen die Kommode knallte. Ri drehte sich um. Er kochte vor Wut.
„Taki”, rief er, „komm mit, ich bringe dich nach hause.”
Wortlos lief Ri zur Tür hinaus. Taki folgte ihm stumm.
„Bist du in Ordnung Yu?”, fragte Shui und kniete sich neben Yu nieder. Yu atmete ruckartig. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Er hatte ein kleine Platzwunde an der Stirn. Shui wollte seine Hand auf Yus Stirn legen um die Wunde zu heilen. Yu stiess Shui zur Seite.
„Lass mich in Ruhe!”, schrie er und rannte die Treppe hoch in sein Zimmer. Kurze Zeit später hörte man nur noch die Tür knallen.
Shui und Xie standen verdattert im Wohnzimmer.
„Ist grad wirklich passiert, was ich gesehen hab oder hab ich Halus?”, sagte Xie.
„Ich glaube ja”, sagte Shui.
Shui war völlig geplättet. Er hatte Ri schön öfter wütend erlebt, aber jetzt hatte sich sein Zorn gegen Yu gerichtet. Shui hätte nie gedacht, dass Ri seinen Bruder derart fest schlagen würde.
„Ich glaube, ich kümmere mich besser mal um Yu”, sagte Shui matt.
„Das halte ich für keine gute Idee”, sagte Xie und hielt ihn zurück.
„Ich denke, das nehme besser ich in die Hand.”
Xie ging die Treppen hoch und klopfte an Yus Zimmertür.
„Yu, ich bin's, Xie. Mach auf.”, rief sie.
„Hau ab! Lass mich in Frieden!”, schrie eine undefinierbare Stimme von Innen.
„Hey, werd ja nicht patzig da drin!”
Xie trat die Tür ein. Entschlossen trat sie über die Trümmer ins Zimmer. Yu lag auf dem Bett. Das Gesicht ins Kopfkissen gedrückt.
„Geht's dir gut, Yu?”, fragte Xie vorsichtig.
„Lass mich doch in Ruhe”, sagte Yu mit tränenerstickter Stimme.
„Was ist denn?”
Yu gab keine Antwort. Er presste das Kissen gegen den Kopf. Nur ein leises Schluchzen, das er zu unterdrücken versuchte, war von ihm zu hören.
„Tut es denn so weh? Oder ist es, weil du dich erschreckt hast?”
Wieder antwortete Yu nicht. Seine Hände krampften sich an den Rändern des Kissens fest.
„Hör mal, Yu. Ri steht im Moment unter hohem Druck. Einerseits, muss er dich beschützen, andererseits, ist da der Rat, der Ri ebenfalls Druck macht.”
„Dann ist es also meine Schuld?!”, schrie Yu plötzlich und riss den Kopf hoch. Das Blut war mittlerweile über sein ganzes Gesicht gelaufen. Das Kissen selbst war auch schon rot gefärbt.
„Nein, natürlich ist es nicht deine Schuld”, sagte Xie beschwichtigend.
„Verschinde! Lass mich allein! Ich will allein sein!”
Yu warf mit dem Kissen nach Xie. Xie sah ein, dass es keinen Sinn hatte auf Yu einzureden. Also erfüllte sie ihm seinen Wunsch. Sie trat draussen vor den Türrahmen. Xie führte ihre Hände von Aussen nach Innen, um die zersplitterte Tür wieder zusammenzufügen.
Dann ging sie wieder ins Wohnzimmer zurück.
„Und?”, fragte Shui neugierig.
„Hat keinen Zweck. Lassen wir ihn erst mal wieder zu sich kommen.”

Die Dunkelheit dämmerte schon, als Ri wieder nach hause kam. Er trat ins Wohnzimmer und sah Shui und Xie, die zusammen vor dem Fernseher sassen. Die Beiden drehten sich zu ihm um, kaum dass sie ihn bemerkt hatten. Sie sahen ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid an.
„Wie geht's Yu?”, war das Erste, was Ri sagte.
„Gut”, sagte Shui, „wenn man davon absieht, dass er vermutlich nen Schädelbasisbruch hat.”
„Hab ich ihn verletzt?”
„Verletzt?”, sagte Xie schnippisch. „Man das sah aus wie Wrestling im Fernsehen.”
Ri seufzte. Er wirkte Müde und schlapp.
„Was ist denn mit dir los?”, fragte Shui.
„Als du gegangen bist, warst du noch auf hundertachtzig und jetzt siehst du aus, als hättest du einen Marathon hinter dir.”
„Der Rat hat mich ganz schön in die Mangel genommen. Sie meinten, wenn Yu sich so was noch mal leisten würde, dann würde er mit einer Strafe rechnen müssen.”
„Ach du Schande”, sagte Xie.
„Diesmal konnte ich sie noch davon überzeugen, dass es nur ein Versehen war. Aber wie's das nächste Mal aussieht, kann ich nicht sagen.” Ri atmete tief Durch.
„Ist Yu in seinem Zimmer?” Shui und Xie nickten.
„Ich glaube, ich sollte mich mal bei ihm entschuldigen.”
Langsam schritt Ri die Treppe hoch. Shui und Xie sahen ihm nach. Sie waren beruhigt, dass Ri nun wieder so ausgeglichen und ruhig war. Es war wohl wirklich nur eine Kurzschlussreaktion gewesen.
Als sie glaubten, dass das Schlimmste nun überstanden war, hörten sie auf einmal hastige Schritte die Treppe runter eilen. Ri hastete ins Wohnzimmer. Er war in heller Aufregung.
„Yu”, keuchte Ri, „Yu ist verschwunden!”
„Was?!”, riefen Shui und Xie wie aus einem Mund.
„Was ist passiert?”, fragte Shui.
„Wurde er entführt?”, fragte Xie.
„Nein”, sagte Ri matt, „er ist weggelaufen. Das Fenster steht sperrangelweit offen. Er ist wohl runtergesprungen. Verflixt. Wir müssen ihn auf der Stelle suchen.”
„Lass gut sein”, sagte Xie.
„Wir machend das schon”, sagte Shui.
„Bleib du hier und ruh dich aus. Wir haben Yu schnell wieder gefunden.”
Shui und Xie eilten davon und liessen Ri allein zurück. Ri liess sich aufs Sofa fallen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Seine Hände zitterten. Langsam liefen einzelne Tränen über seine Wangen. Jetzt, da alles um ihn herum still war, fühlte er die Angst in seinem Inneren. Eine Angst, die ihn fast wahnsinnig machte. Er hatte Angst um seinen kleinen Bruder.

Yu fröstelte langsam. Bei seinem überstürztem Aufbruch hatte er vergessen sich eine Jacke mitzunehmen. Er hatte einfach nur weggewollt. Er hatte einfach das Fenster aufgestossen und war runter in den Garten gesprungen. Stundenlang war er durch die Stadt geirrt. Er wirkte, wie ein verirrtes Kind. Ein Kind, das den Weg zurück nach hause nicht mehr finden konnte. Yu dachte schon daran, wieder heim zu gehen, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Er verschränkte die Arme, presste sie gegen den Körper und lief trotzig weiter.
Es wurde immer dunkler. Insgeheim wünschte sich Yu, dass Ri hinter der nächsten Ecke auf ihn wartete und ihn wieder nach hause brachte. Aber Ri wartete nicht hinter der nächsten Ecke und auch nicht hinter der übernächsten.
Ein kalter Wind wehte durch die Strassen. Yu zuckte zusammen. Er hatte das Gefühl gehabt, dass jemand seinen Namen rief. Angespannt horchte er in die Nacht hinaus. Nichts war zu hören. Yu sah sich um. Er war so in Gedanken vertieft gewesen, dass er nicht geachtet hatte, wo er hingelaufen war. die Umgebung war ihm fremd. Er war auf einer langen, dunklen Strasse. Zu seiner Linken standen leere Gebäude, zur Rechten war ein Fluss. Ausser Yu war niemand zu sehen. Und doch hatte Yu das Gefühl, dass er nicht allein war.
Langsam lief Yu die Strasse entlang. Nur das Rauschen des Flusses durchbrach die Stille. Yu hatte keine Ahnung, wo er war. nichts an dieser Umgebung kam ihm vertraut vor. Er hatte sich total verirrt.
Ein Windstoss fuhr durch die Strasse und bewegte die Kahlen Bäume. Yu fuhr zusammen. Der Wind heulte um die Ecken der leerstehenden Häuser. Es klang wie tausend Stimmen, die nach ihm riefen und ihm drohten.
Yu glaubte zu spüren, dass ihm jemand nachlief. Er beschleunigte seinen Schritt. Der Verfolger wurde ebenfalls schneller. Yu wurde immer schneller, bis er schliesslich rannte. Er rannte um die nächste Ecke in Sicherheit.
Yu atmete hastig. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Yu hörte plötzlich eine leise Stimme, die leise aus der Dunkelheit flüsterte.
„Es gibt nichts Beängstigerendes, als ein Alptraum, der sich nachts langsam in dienen Traum schleicht. Du kannst die Angst spüren, die dich langsam umklammert und dich nicht mehr aus ihren Krallen entwischen lässt. Es gibt nur noch eine Hoffnung, Aufwachen. Was machst du aber, wenn du aus diesem Traum nicht erwachen kannst?”
Yu kannte die Stimme, die ihm hier offenbar Angst einjagen wollte.
„Dao”, flüsterte Yu leise vor sich hin.
„Ganz genau”, sagte Dao, der wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte. Yu blieb fast das Herz stehen.
„Du bist ganz schön schreckhaft heute”, sagte Dao und grinste.
„Was willst du?”, fragte Yu.
„Ach, nur ein bisschen Spass haben. Mir war ein bisschen langweilig in der Unterwelt. Da dachte ich, ich könnte ja mal wieder die Erdlinge ein bisschen aufmischen. Das macht aber irgendwie auch nicht mehr so richtig Spass. Tja, und dann bist du mir über den Weg gelaufen.”
Yu wich ein Stück vor Dao zurück.
„Greif mich an, wenn du willst. Ich habe keine Angst vor dir. Ich habe dich schon mal besiegt und ich werde es wieder schaffen.”
„Fürwahr, du bist stark. Das letzte Mal hast du mich aber nur auf dem falschen Fuss erwischt. Das wird mir nicht noch mal passieren.
Aber es wäre doch schade, wenn ich jemanden wie dich töten müsste.”
„Hä?”
„Du bist ein sehr starker Junge. Stell dir mal vor, wie stark du werden kannst. Wenn du dich mit mir zusammen tun würdest.”
„Vergiss es!”
„Na gut, ich hab im Moment sowieso keinen Nerv zum diskutieren.”
Dao sah Yu kritisch an.
„Du hast dich gezofft?”
„Woher weisst...”
„Du hast dich gerade eben verraten. Ausserdem kann ich es in deiner Seele sehen. Deine Energie ist aufgewühlt. Du hast dich ziemlich aufgeregt.
Wie du siehst, kann ich in deinen Gefühlen lesen, wie in einem Buch. Wollen doch mal sehen, was denn der Grund für diesen Streit war.”
Yu konnte spüren, wie Dao in seine Gedanken eindrang. Es fühlte sich extrem unangenehm an, fast schon schmerzhaft. Yu war, als wenn er nichts mehr verbergen könne. Er versuchte krampfhaft, Dao wieder aus seinen Gedanken zu vertreiben.
Dao durchstöberte Yus Gedanken, bis er die Erinnerung gefunden hatte, die er suchte.
„Aha”, sagte Dao mit einem miesen Grinsen, „du hast dich mit deinem Bruder in die Wolle gekriegt. Man, du bist aber echt undankbar gewesen. Wo er doch so gut auf dich aufpasst.”
Dao wandte sich für einen kurzen Moment von Yu ab. Yu nutzte diesen Moment um zu fliehen. Dao machte sich nicht die Mühe ihn zu verfolgen. Er hatte eine andere Idee.
Yu rannte die Strasse hinunter. Er wusste nicht, wo er hin rannte. Er wusste nur, dass er weg musste.
Als Yu um die Ecke eines Hauses bog, sah er weiter vor sich auf der Strasse eine Gestalt im Schein einer einzelnen Strassenlaterne stehen.
„Ri”, rief Yu erleichtert und rannte auf ihn zu.
Doch als Yu ihn schon fast erreicht hatte, spürte er, wie ihn etwas hart in den Magen traf und ihn niederstreckte. Yu rang nach Luft.
„Was soll das?”, fragte Yu keuchend.
„Ri?”
Ri stand hochaufgerichtet über Yu. Sein Blick war auf Yu gerichtet. Die Augen waren kalt und leer. Die rechte Faust hatte er erhoben. Yu verstand die Welt nicht mehr. Warum hatte Ri ihn nur niedergeschlagen?
„Warum machst du das?”, fragte Yu und versuchte wieder aufzustehen.
Ri jedoch stiess ihn mit dem Fuss wieder zu Boden. Yu griff nach Ris Hosenbein und zog sich daran hoch. Ri packte Yu am Kragen und schleuderte ihn von sich weg.
Yu erschauderte. Von Ri ging auf einmal eine eisige Kälte aus. Das konnte nicht sein, dachte Yu. Wo war die Wärme geblieben? Egal, ob Ri freundlich lächelte oder sauer war. von ihm war bis jetzt immer so eine wohlige Wärme ausgegangen. Das konnte nicht der echte Ri sein.
„Du begreifst schnell”, flüsterte Daos Stimme in seinem Kopf.
„Eins habe ich in der Unterwelt sehr schnell gelernt. Was die Menschen am meisten fürchten, sind ihre ängste. Sie fürchten sich vor ihrer Angst und davor, ihnen entgegen sehen zu müssen. Was sie aber noch mehr fürchten, sind die ängste, die unterbewusst schlummern. Man muss nur ein bisschen in ihren Gedanken stöbern, um sie zu finden. Das ist sogar ganz leicht. Bei dir war's besonders einfach. Du musst ja die ganze Zeit daran denken.”
„Was soll das? Was meinst du?”
„Hast du dir schon mal überlegt, warum Ri sich solche Mühe mit dir gibt? Weisst du, er hat sehr an seinen Eltern gehangen. Auch an seiner Stiefmutter später. Nach ihrem Tod hatte er schreckliche Schuldgefühle, weil er nichts unternommen hatte, obwohl er damals vor dem brennenden Haus eurer Eltern stand.
Du siehst also, es war keine Geschwisterliebe, die ihn bewogen hat dich aufzunehmen. Er wollte nur seinen Schmerz vergessen.”
„Das ist eine Lüge!”
„Bist du sicher?”
Yu hörte nur noch Daos hämisches Lachen in seinen Ohren dröhnen. Im selben Moment trat Ri dem am Boden liegenden Yu in die Rippen.
Yu wusste jetzt, dass es nur eine Illusion war. Aber er konnte sie nicht abschütteln. Hatte Dao vielleicht doch recht? Waren es wirklich nur Schuldgefühle, die Ri empfand, wenn er Yu ansah?

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© 2005 - Shuichi Shindou / Sabrina Winterberg - Schweiz / Suisse / Svizzera / Svizra / Switzerland.
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